Mit der zunehmenden Alterung der Gesellschaft ändern sich auf breiter Basis auch die Mobilitätsbedürfnisse. Für den Markt und seine Anbieter sind die Chancen größer als die Risiken.
Mit Harald Krüger, dem neuen BMW-Chef, ist die Beletage der deutschen Automobilindustrie endgültig in der Generation der Digital-Versteher angekommen. Krüger ist knapp 50. Die Verdrängung der analogen Welt durch die Bits und Bytes der Informationstechnologie haben die Karriere des Topmanagers komplett flankiert – ein temporärer Zufall mit nachhaltiger Wirkung. Einer wie Krüger hat gelernt, dass nichts bleibt wie es ist. Und weil er nicht der analogen Opfergeneration angehört, hat der BMW-Chef kein Problem damit, den Aufbruch als Fortschritt zu feiern.
Die alten Industrien könnten nur von Silicon Valley lernen, sagte Krüger jetzt in einem seiner ersten Interviews als Vorstandsvorsitzender: „In Zeiten der Digitalisierung wird sich vieles noch weiter beschleunigen.“ Doch das neue hohe Tempo ist nur eines der Probleme auf der Fahrt in die Zukunft. Krüger: „Es werden nur die Automobilhersteller eine Zukunft haben, die neue Technologien und gesellschaftliche Veränderungen antizipieren.“ Der BMW-Chef, dessen erster Halbjahresbericht nicht zuletzt der Marktflaute in China wegen empfindliche Bremsspuren aufwies, sieht die Verbindung der aggressiven Zeitschiene mit dem weichen Wandel der Bewusstseinsebenen pragmatisch: „Veränder-ungen kommen schneller und disruptiver – darauf muss sich auch die Automobilindustrie einstellen.“
Denn begleitet wird der Urknall des digitalen Zeitalters von gesellschaftspolitischen Umwälzungen, die zwar langsamer, aber nicht weniger gewaltig kommen. Die Bevölkerungspyramide beginnt sich auf den Kopf zu stellen, die Gesellschaft wird immer älter, jedenfalls in den entwickelten Industrienationen.
Das Statistische Bundesamt belegt den gefühlten Trend mit der aktuellen Studie „Die Generation 65+“. Demnach waren Ende 2013 rund 17 Millionen der in Deutschland lebenden Menschen 65 Jahre oder älter. Das entspricht einem Bevölkerungsanteil von 20,8 Prozent. Im Durch-schnitt älter waren in der Europäischen Union (EU) nur die Italiener (21,4 Prozent), am jüngsten waren die EU-Europäer in Irland (12,6 Prozent älter als 65).
Der 65-plus-Durchschnitt für alle 28 EU-Staaten lag zur Jahreswende 2013/14 bei 18,5 Prozent. Bei einer Gesamtbevölkerung von 507 Millionen Menschen lebten zum Stichtag also knapp 94 Millionen Über-65-Jährige in der Europäischen Union. Tendenz: rasch steigend. Zum Beispiel Deutschland. Nach den aktuellen Berechnungen der statistischen Bundesamtes (13. Koordinierte Bevölkerungsvoraus-berechnung) wird 2060 bereits jeder dritte in Deutschland lebende Mensch 65 Jahre oder älter sein.
Für die Sozialsysteme ist es eine schlechte, für die Konjunktur vermutlich eine gute Nachricht: Die Alten von heute und morgen werden in rasch wachsender Zahl junge Alte sein. Das hängt mit der subjektiven Grundstimmung der Rock- und Pop-Generationen zusammen – forever young ist ein Lebensgefühl, das sich auch vom kritischen Blick in den Spiegel nicht stoppen lässt. Hinzu kommt eine objektive Verbesserung der beruflichen und privaten Lebensumstände in den letzten Jahrzehnten, die, flankiert vom medizinischen Fortschritt, den physischen Verfall spür- und sichtbar verzögert. Die Alten bleiben tatsächlich länger jung – man muss nur die grauen Köpfe bei Rockkonzerten und Touristik-messen oder beim Fahrradhändler um die Ecke zählen.
Zwei Zahlen aus dem Bildungsbereich belegen, dass mit der körperlichen auch die geistige Frische auf dem Vormarsch ins Rentenalter ist: 42 Prozent der Gasthörer an den deutschen Hochschulen waren im Wintersemester 2014/15 älter als 65 Jahre, und an den Volkshochschulen buchte die 65-plus-Generation 2013 rund 667.000 Kurse.
Das Geld für den Unruhestand ist da – noch jedenfalls. Der Mikrozensus, auf den sich das Statistische Bundesamt stützt, ermittelte für 2014 Zahlen des relativen Wohlstands. 20,1 Prozent der Männer und 6,9 Prozent der Frauen über 65 bezogen im vergangenen Jahr ein persönliches monatliches Netto-einkommen von mehr als 2000 Euro – die Summe bezeichnet nicht das Haushaltseinkommen, sondern das Netto-Monatseinkommen einer Einzelperson. Bei 33,3 Prozent der Männer und 20,2 Prozent der Frauen lag dieses persönliche Einkommen zwischen 1300 und 2000 Euro, und 29,4 Prozent der Männer und 28,6 Prozent der Frauen kamen auf einen Netto-Monatsscheck zwischen 900 und 1300 Euro.
Summiert reicht das sehr häufig für sehr einträgliche Haushaltseinkommen. Das Statistische Bundesamt beschreibt den familiären Alltag der Alten mit diesen Zahlen: 80,6 Prozent der Ü-65-Männer und 55,4 Prozent der Ü-65-Frauen leben als Paar „oder in sonstiger Lebensform“ in einem Mehrpersonenhaushalt.
Der Marketingsprech nennt sie Best Ager, Silver Ager, Empty Nesters – durch die Bank vermintes verbales Gelände, denn die Alten von morgen wollen in der Hauptsache Ältere sein, die jung geblieben sind. Oder um es auf diese Formel zu reduzieren: Die Menschen werden immer älter, aber die Alten werden immer jünger.
Für diese neuen Alten – jung im Herzen, reich an Erfahrung – ist Mobilität ein Grundnahrungsmittel. Der „Methusalem-Effekt“, den Auto-Professor Ferdinand Dudenhöffer von der Uni Duisburg-Essen prognostiziert, ist also kein Horrorszenario, sondern eine ganz normale Geschäftsentwicklung entlang der demoskopischen Linien.
Industrie und Mobilitätsdienstleister werden mit marktgerechten Produktangeboten langfristig von dieser Entwicklung profitieren: mit komfortablen, wendigen Funktionsautomobilen, die bequemen Ein- und Ausstieg mit tadellosen Sichtverhältnissen und der Sicherheit teilautonomer Assistenzsysteme kombinieren; mit flexiblen und zuverlässigen Carsharing-Modellen für Großstadtbewohner; mit speziellen Komfort- und Buchungsangeboten für Bahn- und Flugreisende; mit individuellen und bezahlbaren Taxi-Systemen.
Nach der Hektik zeitgenössischer Arbeitsbiografien muss das alles bequem sein, gelassen, fair. Und cool. Die jungen Alten von morgen sind keine Rentner mit Hosenträgern und bedruckten Hauskitteln.
Die ersten Werbevermarkter haben bereits reagiert und die Altersskala der werberelevanten Zielgruppe um zehn Jahre verlängert (jetzt 14 bis 59 Jahre). Der nächste Zehn-Jahres-Zuschlag, diese Prognose sei erlaubt, wird rasch folgen. Und vielleicht legen die Marketingstrategen dann ja gleich 15 oder 20 Jahre nach – Mick Jagger, dessen Stones-Label vor zwei Dekaden half, den VW Golf zu vermarkten, wurde Ende Juli 72. Sir Mick geht immer noch auf Tour.