War die Politik in Bezug auf den Umweltschutz in der Vergangenheit wirklich untätig? Die Chronologie der vergangenen 60 Jahre sagt etwas anderes.
Das Wasserhaushaltsgesetz war die erste wesentliche Maßnahme des Umweltschutzes in der Bundesrepublik Deutschland. Es datiert zurück ins Jahr 1957. Mehr als zehn Jahre später wurde unter der Regierung Brandt das erste nationale Ressort mit Umweltfragen befasst.
Vorreiter USA und Ölkrise
Anstoß waren viele Entscheidungen der USA, damals noch Vorreiter in Sachen Umweltschutz. Benzin-Blei-Gesetz, Bundesimmissionsschutzgesetz, Bundesnaturschutzgesetz und Abwasserabgabengesetz wurden in den 70er-Jahren genauso beschlossen wie 1975 eine Reihe von Strafvorschriften zur Verhinderung von Umweltschäden. Die Ölkrise und die schwache Wirtschaftsentwicklung dämpften aber gleichzeitig den Elan. Die Bundesregierung Schmidt (SPD/FDP) drängte die Länder zur Errichtung von Kernkraftwerken, beispielsweise im schleswig-holsteinischen Brokdorf an der Elbe.
Schub mit Kohl
Einen kräftigen Schub gab es unter der Regierung Kohl (Union/FDP) ab 1983 mit einer neuen Luftreinhaltepolitik – sicht- und spürbar in der neuen Großfeuerungsanlagenverordnung und der Technischen Anleitung Luft, beides von enormer Bedeutung beispielsweise für die Chemische Industrie. Abgasregelungen für den Individualverkehr folgten. 1984 wurde beschlossen, dass Neufahrzeuge ab 1989 zwingend mit Katalysatoren auszustatten sind. Technische Grundvoraussetzung für die Abgasreinigung war die flächendeckende Einführung bleifreien Benzins. Rußfilter für Diesel und die verbindlichen Emissionsregeln (Euro 1 seit 1996, Euro 6d ab 2021) folgten auf europäischer Ebene.
200 europäische Rechtsvorschriften
Erste Vorschriften zu Kohlenstoffmonoxyd, Stickoxid und Rußpartikeln gab es schon, als die EU noch EWG hieß. Inzwischen gibt es rund 200 europäische Rechtsvorschriften zu Umweltfragen. EU-weite Grenzwerte gelten inzwischen für SO2, NOx, Partikel, Blei und Kohlenstoffverbindungen.
Eine Enquete des Bundestages zur Klimaschutzpolitik legte Maßstäbe fest. Die Pflicht zur Einspeisung von Strom aus erneuerbaren Energien wurde gesetzlich verankert. Deutschland übernahm die Führungsrolle. Sicher gab der erstmalige Wahlerfolg der GRÜNEN 1983 einen zusätzlichen Impuls. Tschernobyl und die nachfolgende Klimadebatte taten ein Übriges. Zu Beginn der 90er-Jahre ließ der Elan wegen der schrumpfenden Wirtschaft wieder nach. Gesellschaftliche und politische Prioritäten wurden nach der Wiedervereinigung zu Lasten des Umweltschutzes verschoben.
Auf EU-Ebene trat 1992 die Richtlinie zur Erhaltung natürlicher Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen in Kraft (Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie).
Seit 1996 gilt das Kreislaufwirtschaftsgesetz (mit Änderungen 2012 und 2017). Ziel war und ist die Ressourcenschonung und umweltverträgliche Bewirtschaftung (Vermeidung, Wiederverwendung, Recycling, energetische Verwertung) von Abfällen. Seit 1991 schon gab es den gelben Sack.
„Rasen für die Rente“
1998 nahm die rot-grüne Bundesregierung einen neuen Anlauf, mit einer ökologischen Steuerreform zu sparsamem Energieverbrauch zu zwingen und Steuern zu generieren zur Entlastung der Rentenversicherung („Rasen für die Rente“). Weitere Schritte: der Ausstieg aus der Kernenergie, die Einführung der Verbandsklage für Umweltverbände und die Novelle des Naturschutzgesetzes. Der grüne Punkt wurde eingeführt und 2003 die Pfandpflicht für Einwegverpackungen („Dosenpfand“).
Das Bestreben, die vielfältigen und zersplitterten Regelungen zu Umweltschutz in einem Umweltgesetzbuch zusammenzufassen, blieb im Bundesrat stecken. 2009 wurde eine Umstrukturierung der Besteuerung von Kraftfahrzeugen vorgenommen, die sich seitdem am C02-Ausstoß orientiert. Im September 2018 trat eine Neuregelung in Kraft, die steuerrelevanten CO2-Werte werden jetzt verbindlich nach dem praxisnahen Messverfahren WLTP (Worldwide Harmonised Light-Duty Vehicles Test Procedure) gemessen, für neu zugelassene Autos steigen die Steuern.
Stör, Hunte und Vils
Es wurde viel erreicht: Die deutschen Flüsse wurden sauber (seit den 80er-Jahren arbeitete beispielsweise die ARGE Elbe am Reinhalteprogramm gegen den Dreck aus der DDR, heute hat der Fluss Badewasserqualität). Weitere Projekte im Norden waren die Flusslandschaft Eider-Treene-Sorge, der Aufbau eines Institutes für Meeres- und Polarforschung (GEOMAR), Klimaschutzforschung in Geesthacht, die Seehundsforschung. In den 80er-Jahren fiel auch die Entscheidung für den Nationalpark Wattenmeer.
Für die Flüsse Stör (Schleswig-Holstein), Hunte (Hessen) und Vils (Bayern) wurden Sanierungsprogramme initiiert.
1996 trat die erste Düngemittelverordnung in Kraft, die 2017 neu gefasst wurde. Seit 2009 gilt das Düngegesetz, das das Düngen selbst regelt. Über der Ruhr und an der Saar ist der Himmel nach dem Aus für den Steinkohle-Bergbau wieder blau (die Arbeitslosigkeit stieg kräftig an).
Der Ausstoß von Schadstoffen ging zurück, bei CO2 um 27 Prozent (vor allem durch Stillegung von zahlreichen CO2-Emittenten und Dreckschleudern in Ostdeutschland nach der Wiedervereinigung), bei Stickoxid um 58 Prozent. Zum Vegleich: Ein Bundesbürger emittiert pro Jahr durchschnittlich 9,1 Tonnen CO2, in den USA sind es 16,6 Tonnen.
Seit 1974: Bundesimmissionsschutzgesetz
Am wichtigsten war wohl das Bundesimmissionsschutzgesetz, das seit 1974 den Schutz vor Luftverunreinigung, Lärm, Strahlen und Erschütterungen gewährleisten soll. Der verkehrsbezogene Immissionsschutz ist in den §§ 38 – 43 geregelt. Dort ist unter anderem vorgeschrieben, dass Luftreinhaltepläne von den Ländern aufgestellt und umgesetzt werden. Die Regelungen ermöglichten es der „Deutschen Umwelthilfe“, beim Verwaltungsgericht Stuttgart das erste Diesel-Urteil zu erwirken.
Photovoltaik, Windkraft, Wasserstoff
Speziell in der Energiepolitik lässt sich das Tätigwerden der Politik eindeutig belegen: 1981 begann die erste industrielle Fertigung von Solarzellen in Wedel (Schleswig-Holstein). Mitte der 80er gab es verschiedene neue politische Impulse: 100.000-Dächer-Programm (Photovoltaik), Windkraft-Forschung, Eldorado-Programm für den Export deutscher Windmühlen, Einspeisegesetz (1991) für erneuerbare Energien, EEG (2000, 2014, 2019), Debatte zu CCS 2006/2007 (Verpressung von CO2 aus Kohlekraftwerken unter die Erde), überstürzter Atomausstieg (2002, 2011), Kohlekompromiss 2019, Klimapaket.
Strom aus erneuerbaren Energien hat erstmals 2019 den Strom aus Kohle überholt. Es begann auch hier in Schleswig-Holstein – der erste Windpark in Deutschland wurde 1986 an der Westküste installiert.
In Lübeck wurde stark in der Brennstoffzellentechnologie geforscht. An der Westküste wird angestrebt, aus Windenergie Wasserstoff zu gewinnen (Power to Gas). Die norddeutschen Länder wollen verstärkt beim Thema Wasserstoff zusammenarbeiten.
Bei der Ausschreibung von Bahnnetzen (Netz Ost) wird auf umweltfreundliche Antriebe geachtet.
Die Post setzt batteriegetriebene Transporter ein. Stadtwerke stellen den Busbetrieb auf Wasserstoff um.
Tiere, Pflanzen, Gewässer
Schutz von Tier- und Pflanzenwelt spielt auch im Straßenbau eine erhebliche Rolle. Fast 25 Prozent der Ausgaben für Straßenbau gehen in Umweltmaßnahmen. Bei jedem Neubau müssen Planfesstellungsverfahren durchlaufen werden, die die Umweltaspekte peinlichst berücksichtigen. Das Bundesverwaltungsgericht hat beim Autobahnbau oft Planänderungen angemahnt oder gar Baustopps verhängt, weil beispielsweise schützenswerte Pflanzen und Tiere oder Gewässerrichtlinien nicht genügend Beachtung gefunden hatten (vgl. das Trauerspiel um die Autobahn A 20 und den geplanten Elbtunnel).
Mit dem Kohlekompromiss, der eingeleiteten stärkeren Förderung der Elektromobilität und dem Klimapaket wurden 2019 weitere wichtige Schritte unternommen, die jetzt allerdings im Bundesrat zunächst gestoppt wurden.
Regelungen gibt es also genug. Inwieweit einzelne geeignet sind, der Bedeutung des Wirtschaftsstandortes Deutschland zu entsprechen, ist eine andere Frage.
Der Autor: Dietrich Austermann ist Jurist und CDU-Politiker. Von 1982-2005 war er Mitglied im Deutschen Bundestag, von 2005 bis 2008 gehörte er der Landesregierung Schleswig-Holstein als Minister für Wissenschaft, Wirtschaft und Verkehr an.
Unser Bild: Kulturlandschaft im Hegau zwischen Bodensee und Schwäbischer Alb. Foto: motorfuture