Prima Klima im Windkanal

Warum das Thermomanagement auf dem Weg zu effizienter E-Mobilität ein Meilenstein ist. Und wie die Transformation der Antriebstechnik den Umsatz pusht. Ein Besuch in der neuen Welt von Kolben-Mahle.

Der Kolben ist ein erstaunliches Stück Motorentechnik. Gewaltige Kräfte und Temperaturen wirken auf das metallische Bauteil, das in seinem Zylinder mit im Wortsinne unglaublicher Geschwindigkeit die explodierende Verbrennungsenergie kanalisiert und über die Pleuel auf die Kurbelwelle stemmt. Die Menschheit baut mit ihm seit Generationen ihren Wohlstand auf, und viele wollen ihn jetzt weghaben, aber es bleibt dabei: Der Verbrennungsmotor ist ein mechanisches Wunderwerk.

Die Firma Mahle in Stuttgart hat den Verbrenner-Kolben groß gemacht und umgekehrt, was in Anbetracht der tatsächlichen Verhältnisse eine sprachliche Ungenauigkeit ist. Gut 100 Jahre nach seiner Gründung beschäftigt das Stiftungsunternehmen rund 72.000 Mitarbeiter an 152 Standorten in 30 Ländern auf fünf Kontinenten. In zwölf Entwicklungszentren forschen und tüfteln 5000 Ingenieure. Konzernumsatz im vergangenen Jahr: 12,4 Milliarden Euro. Das bringt Mahle global in die Top 25 der Automobilzulieferer, in Deutschland belegt man Platz vier hinter Bosch, Continental und ZF.

Mahle, Daimler, Behr

Genügend Potential für die Herausforderungen der Transformation. Jumana Al-Sibai führt den Beleg im Windkanal (unser Aufmacherbild), den Kühler-Behr vor 85 Jahren in Stuttgart-Feuerbach baute und mit Arbeiten für die Silberpfeile des Nachbarn Daimler-Benz bekannt machte (Bild rechts). Mahle – geografisch auf halbem Weg zwischen Daimler und Behr positioniert, Entfernung jeweils rund sechs Kilometer – übernahm den Kühlerspezialisten mit seinen gut 17.000 Mitarbeitern vor zehn Jahren, aber das ist eine andere Industriegeschichte.

Zentrallabor Windmaschine

Bei Mahle firmiert die Windmaschine jetzt als Klimawindkanal und ist ein Zentrallabor für die Thermotechnik. „Thermomanagement ist eine Schlüsseltechnologie für die Elektromobilität“, sagt Jumana Al-Sibai, die in der Mahle-Konzerngeschäftsführung für den Geschäftsbereich zuständig ist. Wichtig für die Transformation der Antriebstechnik, gut fürs Geschäft – das Heizen und Kühlen im Fahrzeug ist eine Mahle-Kernkompetenz. Jumana Al-Sibai: „Das Umsatzpotenzial beim Thermomanagement im E-Auto ist dreimal höher als bei Fahrzeugen mit Verbrennungsmotor.“ Und: „Das Thermomanagement ist der Treiber der Elektrifizierung bei Mahle.“

In Zahlen: Im vergangenen Jahr brachte die Thermotechnik mit rund 4,5 Milliarden Euro 35 Prozent des Mahle-Umsatzes, Umsatzplus im Vergleich zum Vorjahr 16 Prozent. Und: Für 2030 rechnen die Prognosen mit 50 Milliarden Euro Umsatz für den globalen Gesamtmarkt. „An diesem Wachstum wollen wir überproportional teilhaben“, sagt Jumana Al-Sibai. Man werde „unseren etablierten Status als Systemanbieter mit Fokus auf Energieeffizienz und Klimatisierung weiter ausbauen“.

Schlüsseltechnik Thermomanagement

Akku-Lebensdauer, Reichweite und Schnellladefähigkeit sind zentrale Größen im Lastenheft des Elektroautos. Jede Komponente des Antriebssystems benötigt zu jedem Zeitpunkt und unter allen klimatischen Bedingungen die optimale Temperatur. Gleichzeitig sorgt das Thermomanagement für das Klima im Auto, die Innenraumklimatisierung darf dabei möglichst wenig Einfluss auf die Reichweite haben.

20 Prozent mehr Reichweite

Mahle hat vor diesem Hintergrund ein neues Thermomanagementmodul (Bild links) entwickelt, das mit der Komplexität des Systems die Kosten senken und gleichzeitig die Effizienz erhöhen soll. Wärmetauscher, Kühlmittelpumpen, Kondensator, Chiller, Sensorik und Ventile sind in einer Einheit zusammengefasst. „Wir sparen Bauraum, Entwicklungsaufwand und Kosten“, sagt Thermomanagement-Entwicklungschef Uli Christian Blessing, „zugleich werden wir deutlich effizienter“. Das Resultat könne sich sehen lassen, sagen die Thermotechniker bei Mahle. Im Systemverbund mit einer Wärmepumpe seien mit dem integrierten Modul im Vergleich zu einer reinen E-Heizer-Architektur bis zu 20 Prozent mehr Reichweite realisierbar. Hinzu kommt: „Die höhere Kühlperformance verbessert die Schnellladefähigkeit“, sagt Blessing.

Weitere Bestseller der Mahle-Thermotechnik: bis zu 18 kW starke Elektrolüfter, Klimakompressoren, Batteriekühlplatten (Bild unten) sowie Wärmepumpensystemen für den Einsatz kleinerer und kostengünstigerer Fahrbatterien.

Die Unternehmensstrategie ist klar: permanente Optimierung der E-Auto-Schlüsselfaktoren Ladetempo und Reichweite. „Wir zählen zu den größten Anbietern von modularen und hoch effizienten Thermomanagementsystemen mit globalem Footprint“, sagt Jumana Al-Sibai: „Thermomanagement und Elektrifizierung sind tragende strategische Säulen des Mahle-Konzerns.“

 

Fotos: Mahle

 

Oskar Weber