Old man take a look at my life

Special Deluxe. Eine AUTO-Biografie. Neil Young denkt über das Leben nach und zeichnet Autos.

Vor langer Zeit war der alte Mann ein Fremder. Bestenfalls ein gütiger Großvater mit Strohhut im Garten des Hauses am Hang über der Stadt. Heute schaut der alte Mann aus dem Spiegel herüber. Sein Befremden ist längst der Gewissheit gewichen, dass alte Männer junge Männer sind. Oder sein können. Im Herzen, bei der Arbeit, beim Auto fahren. Die Autos sind heutzutage ja rollende Konzertsäle. Man lässt die Scheibe herunter wie damals und riecht die Landschaft wie damals, und dabei fährt man geradewegs durch die Sound City Studios in Los Angeles oder durchs Toast in San Francisco. Vielleicht ist Neil Young da und die anderen Leute von Crazy Horse. Sie spielen eine Platte ein, die nie erscheinen wird. Egal. Das Fenster ist unten und die Auswahl grenzenlos. Das volle Programm auf einer winzigen Platine. Damit lässt man die späten Sechziger und dann die Siebziger aus den 16 Lautsprechern der 800-Watt-Anlage strömen und fließen und hämmern und rollen. Musik wie ein Versprechen. Ein Wechsel auf die Zukunft, der eingelöst wurde oder auch nicht.

Früher jaulte und würgte der Kassettenrekorder Bandsalat immer dann aus dem Armaturenbrett, wenn es am Schönsten war. Wenn sich das kupferfarbene Bändchen nicht irreparabel in den Tiefen des Schachts verheddert hatte, konnte man die Musik noch einmal aufwickeln, den Soul und den Rhythmus der Welt retten. Die Welt – das war die Musik und das Auto, wenn man das Glück hatte, eines zu besitzen. Man hoffte also und rauchte zum geöffneten Fenster hinaus. Damals rauchte man noch. Auch im Auto. Manchmal zitierte der rauchende Held hinterm spindeldürren Lenkrad die großen Sätze der großen alten Männer: A man can be destroyed but not defeated. Macho war damals noch kein Schimpfwort, und die Jünglinge übten die tiefe Stimme und den Gang der Cowboys. Hemingway war ein Macho, aber er war ein trauriger Macho. Hemingway liebte seine Flinte mehr als sein Leben.

Neil Young kann nicht besonders gut singen. Aber das grandios. Er kann auch nicht besonders gut malen oder schreiben… Aber beides macht er perfekt. Neil Young kommt aus jener Zeit, als man einfach sein Ding machte. Man kann Ökologe sein und das Auto lieben. Beides riecht nach Freiheit. Neil Young liebt die Freiheit. Er kann sie sich leisten. Der alte Mann schreibt also (noch) ein Buch über das Leben. Über die Familie, seine Ranch, seine Modelleisenbahn. Über seine Autos. Ja, tatsächlich, auch darüber. Special Deluxe. A Memoir of Life & Cars. Seine Übersetzer Guntrud Argo und Michael Kellner fackeln da nicht lange: Special Deluxe. Eine AUTO-Biografie. Ist das nicht großartig?

Der alte Mann, der genauso jung geblieben ist wie sein Publikum, schreibt also ein Buch. Über das Leben, die Liebe, die Frauen. Die Kinder. Über die Musik und die Poesie. Über seine Automobile. Er hat Dutzende besessen, den meisten hat er Namen gegeben, als wären es Hunde oder Katzen oder Schildkröten. Früh hat er begonnen, seine Straßenkreuzer zu elektrifizieren. Lincvolt, das verrückte Projekt eines Rockstars. „Ich habe mein Leben lang eine Liebesbeziehung zu den dicken Spritschleudern gehabt, aber selbst ich sehe das Zeichen an der Wand. Ich höre auf den Herzschlag der Erde.“

Neil Young erzählt seine Geschichten in 40 Kapiteln auf über 400 Seiten. Er ist jetzt Umweltaktivist: „Das ist der Anfang vom Ende des Zeitalters fossiler Brennstoffe. Wir haben einen langen Weg vor uns, aber wir werden es schaffen.“

Neil Young hat seine Autos gezeichnet. Kolorierte Zeichnungen von Automobilen pflastern dieses Buch von Anfang (Lincoln Continental „Lincvolt“) bis Ende (Monarch Sedan „My Dad’s Car“). Das ist rührend. Ein junger alter Mann wirft einen Blick auf das Leben, und dabei malt er Autos, und er erinnert sich an den ersten großen Ruhm vor fast 50 Jahren: „Während das Leben vorbeirauschte, war es übervoll von Träumen.“

 

Neil Young, Special Deluxe. Eine AUTO-Biografie. Mit Illustrationen des Autors. Aus dem amerikanischen Englisch von Guntrud Argo und Michael Kellner. Kiepenheuer & Witsch, 416 Seiten, 26,99 Euro.

Oskar Weber