Wünsch‘ dir was – zum Beispiel Schleswig-Holstein

Mobilität ist Lebensqualität. Doch während der Individualverkehr zunehmend an die Kapazitätsgrenzen des Straßennetzes stößt, ist der Öffentliche Personenverkehr traditionell im Zielkonflikt Verfügbarkeit und Finanzierbarkeit gefangen. Serie, Teil 3.

Die Koalitionsvereinbarung der sogenannten Küstenkoalition in Schleswig-Holstein (rot-grün-gelb) priorisiert das Thema: Nur eine Gesellschaft, die Mobilität gewährleiste, eröffne den Bürgern die Chance freier Entfaltung.  Das Vorhalten einer exzellenten und klimaschonenden Verkehrsinfrastruktur sei eine staatliche Kernaufgabe. ÖPNV und Individualverkehr würden immer mehr miteinander verschmelzen Und unterstützt von der digitalen Entwicklung würden Menschen zunehmend diverse Verkehrsmittel kombinieren (share-mobility, Modal Split).

Wunschkonzert im Koalitionsvertrag

Im Detail wird die neue ÖPNV-Qualität im Kieler Koalitionsvertrag ebenso umfangreich wie wolkig formuliert: moderne Fahrzeuge, attraktive Haltestellen, mehr Zuverlässigkeit und eine bessere Verknüpfung der verschiedenen Verkehrssysteme.

Angestrebt werden zudem transparente Tarife, faire Tarifzonen und durchgängige Fahrkartensysteme in den nördlichen Bundesländern.

Bei der Infrastruktur sind der Ausbau verschiedener Verbindungen aus dem nördlichen Bundesland nach Hamburg hinein und der der S-Bahn aus Hamburg heraus vorgesehen, natürlich mit Bezahlung des Bundes. Allein die Strecke Hamburg-Bad Oldesloe finanziert der Bund demnächst mit 1,1 Milliarden Euro.

Stillgelegte Bahnstrecken (z.B. Niebüll-Flensburg) sollen einer Wirtschaftlichkeitsprüfung unterzogen werden, denn dies ist Voraussetzung dafür, dass der Betrieb wieder aufgenommen wird („Reaktivierung um dem Trend der Landflucht verkehrspolitisch entgegenzuwirken“.) Ein Netz „starker Linien“ mit schnelleren Zügen und Bussen, Taxen, Anrufsammeltaxen, aber auch PKW und Fahrräder binden Orte abseits des „starken Liniennetzes“ ein. Deshalb sollen sichere Abstellmöglichkeiten und die erleichterte Mitnahme von Fahrrädern und Rollatoren in den Zügen und Bussen ermöglicht werden.

Mitfahrbänke

Um ländliche Regionen besser an größere Orte anzubinden, werden verschiedene Konzepte erprobt. Immer mehr Orte setzen auf sogenannte Mitfahrbänke der Initiative BobenUp als Ergänzung zum öffentlichen Nahverkehr. Allein in gut 30 Gemeinden der Klimaschutzregion Flensburg stehen mittlerweile 53 Bänke. Die Einwohner können sich auf die Mitfahrbank setzen und darauf warten, von einem Autofahrer mitgenommen zu werden. Wieder andere Gemeinden wollen in  Zukunft auf autonom fahrende Kleinbusse setzen.

Alle Bundesländer haben vergleichbare (wohlfeile) Konzepte. Überall wird eine Verbindung von Klimaschutz, Luftreinhaltung und Mobilitätskonzepten hergestellt. Emissionsarme Antriebe sollen gefördert, Pendlerströme auf die Schiene verlagert werden (aus SH fahren täglich 150.000 Pendler mit dem Auto nach Hamburg zur Arbeit). Emissionsgrenzwerte sollen durch Auflagen der Länder und Kommunen im gewerblichen Personenverkehr abgesenkt werden. Der Bund will stärkere Anstrengungen für den Schienenfernverkehr auch mit dem Ziel einer besseren Verzahnung des Schienennahverkehrs unternehmen.

Die Alternative Wasserstoff wird ignoriert

In Schleswig-Holstein soll eine Modellregion für Elektromobilität und autonomes Fahren entstehen. Die Frage nach einer öffentlich zugänglichen Ladenetzinfrastruktur und das Konzept einer Wasserstoffwirtschaft sollen in den Mobilitätskonzepten berücksichtigt werden.

Auch diese Vorstellungen finden sich in den Programmen der meisten Länder.

Schleswig-Holstein leistet sich allerdings in einer aktuellen Ausschreibung einen Verstoß gegen die selbst postulierten Ziele: Bei der Ausschreibung für das Bahnnetz-Ost, die Erschließung des östlichen Landesteilens durch den Schienennahverkehr, wird nur von der batteriebetriebenen Zugalternative ausgegangen. Die Alternative Wasserstoff und Brennstoffzelle, die in Niedersachsen als Ersatz für schnelle Dieselloks bereits auf der Schiene fährt, wird erstaunlicherweise ignoriert.

Verantwortlich für die Ausschreibung ist die Nahverbund Schleswig-Holstein GmbH (NAH.SH), ein Gemeinschaftsunternehmen des Landes (50 Prozent), der Landkreise und der kreisfreien Städte. Die NAH.SH bietet immer wieder Anlass zu Kritik. Der Landesrechnungshof bescheinigt dem Unternehmen zu hohe Ausgaben für die Verwaltung und auch einen sonst zu großzügigen Umgang mit Haushaltsmitteln. Das Vergaberecht wurde oft nicht eingehalten. Transparenz bei der Förderung hat es bei der Förderung oft nicht gegeben. NAH.SH soll in Abstimmung mit den Kommunen als Aufgabenträger den Schienennahverkehr planen und bestellen. Das Verkehrsministerium agiert gegenüber der Gesellschaft großzügig, eine Kostenkontrolle durch die Kommunen oder gar den Landtag findet nicht statt. Das ist umso erstaunlicher, als die Versorgung der Fläche mit Verkehrsangeboten tägliches Geschäft der Abgeordneten sein sollte.

 

Unser Bild: Für Schleswig-Holstein erstaunlicherweise keine Alternative – der von Alstom entwickelte Regionalzug Coradia iLint auf Basis der Wasserstoff-Brennstoffzellen-Technologie verbindet seit September 2018 im regulären Linienbetrieb die Städte Cuxhaven, Bremerhaven, Bremervörde und Buxtehude.  Foto: Alstom

Der Autor: Dietrich Austermann ist Jurist und CDU-Politiker. Von 1982 bis 2005 war er Mitglied im Deutschen Bundestag, von 2005 bis 2008 gehörte er der Landesregierung Schleswig-Holstein als Minister für Wissenschaft, Wirtschaft und Verkehr an.

Dietrich Austermann