Zukunft von gestern: NSU Ro 80

Sein Design war wie von einem anderen Stern. Er passte zu seiner Marke wie eine Diva zum Bauerntheater. Er stürzte seine Besitzer ins Wechselbad der Gefühle. Und er fuhr seine Firma an den Rand des Abgrunds. Der NSU Ro 80 ist sicherlich eines der spektakulärsten Missverständnisse der Automobilgeschichte.

Übermut tut selten gut. Verwegenheit führt in vielen Fällen geradewegs in den Tod. Oder nach Ingolstadt. Das machte den NSU-Leute am wenigsten aus. Sie kannten die Provinz und sie kennen sie bis heute. Klein ist nicht doof. Neckarsulm bietet mehr Arbeitsplätze (knapp 30.000) als es Einwohner hat (rund 26.000).

Dort, nicht weit von Stuttgart, spielt unser Märchen aus einer jetzt doch schon ferner Zeit, jedenfalls automobilhistorisch betrachtet. Es ist die Geschichte des NSU Ro 80.

Der Ro, wie ihn  seine Freunde rufen, wuchs in jenem Städtchen in der schwäbischen Provinz auf, auch wenn er aussieht, als käme er geradewegs aus New York oder Buenos Aires oder wenigstens aus Paris. Gut, er ist ein Schwabe, und in der Landeshauptstadt wissen sie, wie man hochwertige Autos mit betörenden Karosserien krönt. In Untertürkheim haben sie in den 50ern gewissermaßen direkt aus den Ruinen den W198 auf die Reise geschickt, den Mercedes 300 SL mit Flügeltüren und später mit Klappverdeck. Und während zu Beginn der 60er in Zuffenhausen ein Sohn des Hauses die Ikone Porsche 911 zeichnet, schiebt der Daimler die Pagode hinterher – Wagen 113, ein Hardtop-Roadster wie ein Architekten-Bungalow am Strand von Malibu.

Man befindet sich also in guter Nachbarschaft in Neckarsulm, auch wenn man andere Kundschaft bedient. Anfang der 60er-Jahre versucht man es mit Kleinwagen, weil das Mopped- und Motorradgeschäft („Nie mehr laufen, Quickly kaufen“) stottert. NSU entwickelt den Prinz („Fahre Prinz und du bist König“). Der Heckmotor-Kleinwagen und ein halbes Dutzend etwas größere Derivate sind für eine kurze Zeit im Nachkriegs-Wirtschaftswunderland die richtige Ware, doch mit wachsenden Gehaltsschecks wollen die Leute bald größere Autos: mehr Platz, mehr Komfort, mehr Leistung.

NSU will liefern, vergisst bei der Modellplanung aber die wichtige untere Mittelklasse: konstruktiv einfache, erschwingliche Autos in konventioneller Bauweise (Motor vorn, geräumiger Gepäckraum) für eine riesige Zielgruppe. Die Typen 110 und 1200 passen mit rund 55 PS zwar leistungsmäßig in dieses wichtige Marktsegment, aber der hinter der Hinterachse platzierte Motor macht die Autos zu Heckschleudern, und die Straßen sind schlecht.

Stattdessen verliert sich NSU in dem aus heutiger Sicht wahnwitzigen Oberklasse-Projekt Ro 80. Es gibt keine adäquaten Händler, es gibt keinen Modellanschluss, es gibt keine gewachsene Kundschaft. Aber es gibt die Lizenz für den Kreiskolbenmotor des Erfinders Felix Wankel, dessen Laufruhe dem „Schüttelhuber“ (Wankel über das Hubkolben-Prinzip) den Garaus machen soll. Der kompakte Rotationskolbenmotor erlaubt dem jungen NSU-Designer Claus Luthe einen flachen Vorderwagen, der den Ro in Verbindung mit dem filigranen Dachaufbau zu einer Skulptur macht – heute schön anzuschauen, vor 50 Jahren eine Sensation.

Das Publikum schwärmt, und das NSU-Management erlaubt sich einen letzten kapitalen Bock: Der Wankelmotor ist beim Debut im Herbst 1967 nicht ausgereift, die diffizilen Dichtleisten halten nicht, Motorschäden sind an der Tagesordnung. Das nervt die Kundschaft und überfordert bald das NSU-Budget. Hinzu kommt: Der Rotationskolbenmotor arbeitet bauartbedingt zwar vibrationsarm, ist aber so drehmomentschwach, dass er trotz nominal ordentlicher Leistung (85 kW/115 PS) ständig mit hohen Drehzahlen bewegt werden muss. Das macht den Ro zum Säufer, unter 15 Liter geht nichts. Das ist auch für damalige Verhältnisse viel Sprit.

Der Traumwagen stirbt in Schönheit. Und er kostet sein Unternehmen die Selbständigkeit. NSU wird 1969 mit der Volkswagen-Tochter Audi fusioniert. Der Unternehmenssitz bleibt zunächst in Neckarsulm, wechselt Anfang der 80er-Jahre aber an den größeren Standort Ingolstadt.

Der NSU Ro 80 wird noch bis 1977 gebaut, irgendwann ist auch die Maschine standfest. Was bleibt ist ihre Drehmomentschwäche und der undisziplinierte Durst. Und der schlechte Ruf. Die Statistik belegt das ganze Dilemma: In zehn Produktionsjahren laufen in Neckarsulm insgesamt 37.406 Exemplare vom Band. 

Eine Sonderschau zum Thema Ro 80 läuft bis Ende Mai 2018 im Audi Forum Neckarsulm.

 

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Redaktion