Das Elektroauto zwischen Wunsch und Wirklichkeit. Infrastruktur, Prognosen, nackte Zahlen.
Unsere kleine Redaktion ist eine Mischung aus Werkstatt und Wohlfühloase. Im Winter ist geheizt, im Sommer gibt es einen Balkon, und der Blick hinüber zum Schloss Hohenheim bietet prächtige Perspektiven. Unions-Faktionschef Ralph Brinkhaus hat sich dort drüben an der gleichnamigen Uni ökonomischen Sachverstand geholt, ebenso IG-Metallchef Jörg Hofmann, und der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann frönte auf dem Campus einst den Ideen östlicher und fernöstlicher Gesellschaftsexperimente.
Heute ist ihm das peinlich, was man versteht, wenn man gleich um die Ecke die Aldi-Filiale betritt. Es gibt praktisch nichts, was es nicht gibt in diesem Tempel des Konsums und des kleinen Geldes, und seit die Discount-Manager auf dem Gelände zwei Ladesäulen für Elektroautos installiert haben, finden auch sündhaft teure Premiumautos den Weg zu Aldi: Mercedes, Porsche, BMW. Tesla natürlich. Manchmal mogeln sich auch ein Opel Corsa oder ein Renault Zoe in die illustre Gesellschaft, aber immer häufiger erinnert die Ansammlung – Achtung, Herr Kretschmann! – an die DDR-Tankstellen mit dem planwirtschaftlichen Marketing. Wer Energie zapfen will, muss sich in die Schlange stellen und warten.
Geduld, Genossen, Geduld. Das führt uns geradewegs zum Thema Klimapolitik. Die Frage ist nämlich, ob der deutsche Furor nicht zwangsläufig in der stürmischen See gesellschaftspolitischer Realitäten kentern muss.
Wir belassen es an dieser Stelle bei der Betrachtung prekärer Mobilitätsinfrastrukturen, denn das ist Stoff genug für eine spannende Diskussion. Die Warteschlangen vor den Aldi-Stromzapfstellen geben jedenfalls bedenkenswerte Hinweise.
- Erstens: Sobald vor Ort die Stromnachfrage das Ladesäulenangebot übersteigt, werden die wartenden Elektropiloten nervös. Das ist vor dem Hintergrund der aktuellen Ladetechnik auch kein Wunder. 30 Minuten Ladezeit für 80 Prozent Ladung bedeuten bei zwei Ladpunkten und zehn Autos für den letzten in der Schlange 150 Minuten Wartezeit. Das sind zweieinhalb Stunden. Dumm gelaufen.
- Zweitens: Ein wesentlicher Grund für den E-Auto-Andrang bei unserer Aldi-Filiale ist sicherlich die nur wenige hundert Meter entfernte Autobahn A8. Aldi oder der Discount-Konkurrent Lidl geben den Ladestrom kostenlos ab – noch jedenfalls. Ein kleiner Abstecher spart also richtig Geld, denn der Ladestrom an der Autobahn ist teuer. An den Powerladern werden in der Regel 79 Cent für die Kilowattstunde Schnellstrom aufgerufen, vereinzelt wurden auch schon Preise jenseits der 1-Euro-Marke gesichtet. Das ist happig.
Soll heißen: Lange Wartezeiten und hohe Strompreise sind Gift für das Elektroauto, die Kombination ist toxisch.
Dazu passend ein kurzer Blick auf aktuelles Zahlenmaterial. In Deutschland gibt es momentan rund 26.000 öffentliche Stromtankstellen, davon alleine in Hamburg 1300. Das ist gewissermaßen die Geberseite. Auf der Nehmerseite sind aktuell rund 500.000 Elektroautos unterwegs (ohne Plug-in-Hybride), Tendenz wegen der üppigen Subventionierung durch den Steuerzahler rasch steigend. Die Annahme, dass die sehr überwiegende Zahl der Akku-Autos über Kabelconnections in Privatgaragen verfügt (zuhause und/oder bei der Arbeit), ist naheliegend. Wer sich ein sündhaft teures Elektroauto leisten kann, wohnt und arbeitet in der Regel auch in komfortablen Umständen. Das klingt an und für sich gut, korreliert aber nur unzureichend mit der Tatsache, dass es sich auch bei Elektroautos in erster Linie um Fahrzeuge handelt. Fahrzeuge gehen auf Fahrt, zuweilen auf große Fahrt und dann ist die heimische Wallbox weit weg.
Und weil wir gerade über den wohlhabenden Teil der Bevölkerung sprachen – eine weniger wohlhabende Mehrheit wohnt und arbeitet ohne private Lademöglichkeiten. Macht ja nichts, werden Zyniker jetzt einwenden, diese Leute können sich ein Elektroauto sowieso nicht leisten.
Das ist korrekt, deshalb auch in diesem Zusammenhang ein paar Zahlen: In Deutschland sind derzeit 48,2 Millionen Personenwagen zugelassen, jährlich kommen netto rund eine Million dazu. (Soviel übrigens zur These, das Automobil sei ein Auslaufmodell.) Zum Jahreswechsel 2023/24 werden also rund 50 Millionen Personenwagen in Deutschland zugelassen sein, davon rund eine Million Exemplare mit batterieelektrischem Antrieb. Bleiben 49 Millionen Verbrenner, die bei einer durchschnittlichen Laufzeit von 15 Jahren… Und so weiter und so fort.
Wie gesagt nur ein paar Zahlen. Zahlen aus dem richtigen Leben. Ohne vernünftige Ladestruktur, ohne bezahlbare Elektroautos wird der Verbrenner die Aldi-Parkplätze und das Straßenbild definitiv auch die kommende 20 Jahre klar dominieren. Eine für 2030, also für übermorgen geforderte Mobilitätswende ist die Illusion gesellschaftspolitischer Realitätsverweigerer. Es sei denn, man will den Individualverkehr verbieten. Solche Ideen waren vor 50 Jahren noch nicht einmal bei Kretschmanns Kommunistischem Bund Westdeutschland (KBW) ein Thema. Wenn die Geschichtsschreibung stimmt, spendierte der KBW seinen Spitzenkadern Dienstwagen der schwedischen Marke Saab.
Foto: motorfuture