Auf der Suche nach dem Erfolg von morgen gräbt die Autoindustrie immer wieder in den Namensregistern von gestern. Freundliche Erinnerung, clevere Taktik oder hilflose Marotte?
Früher. Das ist ein Zustand, den wir an dieser Stelle weder historisch noch gesellschaftspolitisch begutachten wollen. Es ist besser so. Denn das Wort von der guten, alten Zeit ist ja nur ein unver-schämter Euphemismus. Was zu der interessanten Frage führt, warum ausgerechnet die Automobil-industrie ihren Blick immer wieder verklärt in den Rückspiegel richtet. Wo doch das Heil – pardon! – das Wohl der Branche in jenen aufregenden Zukunftsideen und -konzepten verborgen ist, die vielleicht noch gar nicht erfunden sind.
Stattdessen blättert die Branche in alten Fotoalben, die Oma und Opa noch ordentlich beschrifteten. Man sollte, Jahre später, Rimini nicht mit Lloret de Mar verwechseln. Damals, als Flugzeuge noch keine Airbusse für Flipflop-Touristen waren, hieß ein Ford noch Taunus und nicht Mondeo. Der 17 M (1,7-Liter Meisterklasse) transportierte die Wir-sind-wieder-wer-Mittelklasse auf schmalen Diagonal-sohlen an den Germanengrill. Seine Hinterachse war ein starres Rohr, und sein ärgster Rivale hieß Opel Rekord.
Apropos. Opel war jetzt sogar der große Sprung zurück über die Alpen nicht weit genug. Man hatte, knapp 50 Jahre zurück, die Sehnsucht nach dem Süden mit dem Ascona zwar buchstäblich einmal im Modellprogramm verankert, aber für drei Tage Tessin mit Frühstück gibt es heutzutage zwei Wochen Dom-Rep – all inclusive auch die himmelschreiende Armut jenseits der Bettenburgen. Ein Opel Santo Domingo kommt also gar nicht in Frage.
Die General Motors-Tochter packte deshalb lieber noch ein Vor-Jahrhundert drauf und nannte seinen Lifestyle-Kleinwagen Adam. Die Strategen der Marke mit dem Blitz beharren zwar – kein Witz! – auf der aerodynamischen Sprechweise Äddäm, aber es kann kein Zweifel bestehen, dass der Namensgeber ein hessischer Unterneh-menspionier aus dem 19. Jahrhundert ist: Adam Opel, erfolgreicher Nähmaschinen-, später auch Fahrradfabrikant.
Bei der Gründung des Deutschen Reichs war Adam 34, und als er gut 20 Jahre später das Zukunftspotential des eben erfundenen Au-tomobils einschätzen sollte, blieb er, nun ja, skeptisch: „Aus diesem Stinkkasten wird nie mehr werden als ein Spielzeug für Millionäre, die nicht wissen, wie sie ihr Geld wegwerfen sollen.“ Als Adam – sorry: Äddäm – 1895 starb, trauerten die Witwe und die fünf Söhne um den Patriarchen. Kurze Zeit später stiegen sie ins Stinkkasten-Business ein.
Apropos. Der junge Opel mit dem alten Namen ist eine Antwort auf die Wiederbelebung des Mini, der in der Neuauflage allerdings ein Maxi ist. Man muss sich das so vorstellen: Der Urmeter-Mini erfuhr sich seinen Kultstatus in den 60er-Jahren des vorigen Jahrhunderts mit einer verblüffenden Mischung aus Winzigkeit und Größe. Kaum Auto, kaum Gewicht, kaum Design. Aber umwerfend viel innovative Technik – Quermotor, Frontantrieb, Gummifederung –, ein verblüffendes Platzangebot und das Smart-und-Clever-Charisma.
Die neuen Minis? Allesamt Elefantenbabys und allenfalls Karikaturen der ursprünglichen Idee. Den Ur-Mini bräuchte heutzutage kein Mensch, sagen sie bei der Konzernmutter BMW. Das stimmt, aber ein kleiner Spritzer vom genialen Spirit des Alten hätte den Neuen ideell wenigstens der groben Spur nach auf Linie gebracht – ein früher und damit technisch gewagter Plug-in-Hybrid zum Beispiel oder ein echter Serien-E-Mini mit vier Sitzen. Stattdessen versuchen die Mini-Macher mit immer ge-wagteren Karosserievarianten, dem Projekt Stückzahlen und damit Rentabilität zu verschaffen. Verste-hen muss man das nicht, denn an Mut fehlt es in München keineswegs – das i-Leuchtturmprojekt mit dem bestechend avantgardistischen BMW i3 lässt grüßen.
Apropos. Dass Avantgarde funktioniert, wenn man sich einen langen Atem leisten kann, beweist Daimler mit dem Smart. Von präpotenten PS-Predigern zunächst als Elefantenrollschuh verspottet, hat der Kurze in den Metropolen als konkurrenzloser Verwerter der Parkplatz-Resterampe längst Karriere gemacht. Und für die elektrische Antriebsrevolution mit dem Kernproblem Reichweite ist das Stadt-autokonzept – geringes Gewicht, vergleichsweise kurze Einsatzstrecken – geradezu eine Steilvorlage.
Der Smart, das geben mittlerweile selbst die Kritiker zu, ist eine echte Automobilinnovation. Kein ängstlicher Blick zurück, sondern ein beherztes Stochern mit der langen Stange im Nebel der Zukunfts-märkte. Kann man damit auf Dauer Geld verdienen? Die Branche wird noch staunen, welche Ideen auf dem Mobilitätsmarkt langfristig Rentabilität beweisen.
Apropos. Dass auch die Daimler-Leute nicht immun sind gegen den Nostalgievirus, belegt ein anderes Thema der neueren Unternehmensgeschichte, ein Projekt am anderen Ende der Modellpalette. Der Maybach, mit dem Daimler im Luxussegment gegen den britischen Automobiladel Rolls-Royce und Bentley antreten wollte, landete nach wenigen Jahren dort, wo er herkam – im Museum.
Der Wer? Die kurze Fragestellung beschreibt das Maybach-Missverständnis umfassend. Denn die Vor-kriegsmarke war allenfalls noch eingefleischten Enthusiasten in den traditionellen Automobilmärkten in Westeuropa und den USA ein Begriff. In den neureichen Märkten China und Russland hätte man den Luxus-Daimler auch als Maibaum anpreisen können – die statusbewusste Kundschaft dort inves-tiert in starke Marken der Gegenwart und nicht in längst verfallene Wechsel auf die Vergangenheit. Der erstaunliche Erfolg der von BMW und dem VW-Konzern sorgsam gehegten und gepäppelten Groß-marken Rolls-Royce und Bentley belegt es. Bentley (ab 170.000 Euro) überspringt bei den Absatz-zahlen mittlerweile die fünfstellige Hürde, Rolls-Royce (ab 270.000 Euro) konnte im vergangenen Jahr über 4.000 Autos verkaufen.
Die Marke Maybach fungiert jetzt übrigens als Topausstattungslabel für die S-Klasse. Den Kunden in Russland und China ist das egal. Hauptsache, sie bekommen einen echten Mercedes.
Apropos. Der chinesische Nutzfahrzeug-Konzern Foton finanziert jetzt das Revival der Marke Borgward. Wir wissen nicht, wie die Chinesen das sperrige deutsche Wort mit den beiden „r“ vor Kon-sonanten aussprechen. Wir wissen auch nicht, welche Bedeutung in zwei Silben gelegt wird, die für kurzen Unternehmenserfolg und (wahrscheinlich) großen Wirtschaftsskandal stehen. Klar ist, dass der bis heute nie völlig aufgeklärte Konkurs des Bremer Automobilfabrikanten Carl F. W. Borgward mitt-lerweile 54 Jahre zurück liegt. Klar ist auch, dass mit der Abwicklung die Marken Borgward, Goliath und Lloyd in den Archiven der Automobilgeschichte verschwanden. Und Fakt ist schließlich, dass heute an der Schwelle zum Rentenalter steht, wer als Kind heimlich den Nachbarn bedauerte, weil der immer noch seinen alten Borgward fuhr.
Geschäftssinn oder fixe Idee der Borgward-Nostalgiker, hinter denen mit Christian Borgward ein Grün-derenkel und Namensträger steht? Fragen über Fragen. Die Autos sollen jedenfalls in Deutschland ent-wickelt werden, die Firmenzentrale siedelt in der Autometropole Stuttgart, und auf der IAA wurde unlängst der erste Borgward der Neuzeit gezeigt: ein SUV, der aussieht wie ein SUV, mit der konventio-nellen Technik eines SUV. Revolutionäre Konzepte, neue Ideen, spannende Vorschläge sucht man vergebens. Carl F. W. Borgward, dem detailverliebten Konstrukteur und nachlässigen Buchhalter, wäre das vermutlich zu wenig gewesen.
Apropos? Okay, einen haben wir noch. Oder besser: eine. Ihr Name war Giulia, und Alfa Romeo schob die spröde Blechschönheit 1962 ins Rampenlicht des Marktes. Das war ein Jahr nach der Borgward-Pleite in Bremen.
Der feminine Name schadete dem Auto nicht, im Gegenteil. Der kantige Wagen mit der Boxernase und den vier Türen steckte das Revier der sportlichen Mittelklasse-Limousinen ab und dominierte es fortan als Alfatier. Doppelnockenwellen-Vierzylinder, Doppelvergaser, Fünfganggetriebe, 80 PS und mehr. Mein lieber Scholli.
Limousine, Leistung, Leidenschaft. Mit dieser ganz und gar unerhörten, weil lustbetonten Kombination festigte das Erfolgsmodell den Alfa Romeo-Ruf als Sportfahrer-Marke. Die Giulia war ihrer Zeit voraus, das ist ihr Geheimnis bis heute. Als die Produktion 1978 eingestellt wurde, verzichteten die Chefs in Mailand auf eine direkte Nachfolgerin. Keine schlechte Entscheidung, denn eine zweite echte Giulia kann es nicht wirklich geben.
Vielleicht möchten die Verantwortlichen bei Alfa Romeo noch einmal darüber nachdenken, bevor sie im kommenden Frühjahr einem Auto von morgen einen Namen von vorgestern geben.