Berlin, Bonn, Brüssel und noch einmal Berlin

Alles was Recht ist. Die Geschichte der bundesdeutschen Umweltgesetzgebung und der Diesel-Skandal. Serie, Teil 1.

Eigentlich ist die Bundespolitik immer an allem schuld, vor allem in Deutschland. Am Klimawandel, an dem Zustand der Schultoiletten in Kleinkleckersdorf, den fehlenden Stromnetzen, dem Zustand der Landesstraßen, der Staatsverschuldung in Bremen und vor allem der Dieselmauschelei. Dies erklärt vielleicht das Abschneiden der Grünen bei den letzten Landtagswahlen in Bayern und Hessen. Dabei wird nicht hinterfragt, weshalb gerade in der rot-grün-regierten Stadt München und im schwarz-grün-regierten Land Hessen vergleichbare Luftreinhaltepläne in jeweils einer vielbefahrenen Straße ebenso Probleme machen wie in Stuttgart, das seit 2011 ein im Wortsinne grünes Wunder erlebt – seit 2012 regiert die Öko-Partei die Stadt und bereits seit 2011 das Land Baden-Württemberg.

War „die Politik“ in Bezug auf den Umweltschutz wirklich untätig?

Wenn man sich die Chronologie der gesetzlichen Maßnahmen ansieht fällt auf, dass seit mehr als 50 Jahren Regelungen erlassen wurden, welche Autoabgase sauberer machen sollten. Katalysator, bleifreies Benzin, Rußfilter für Diesel, Beimischungszwang von Bio-Kraftstoff… Schließlich die Regeln zu Euro 1 (seit 1996) bis Euro 6d (ab 2021).

Erste Vorschriften zu Kohlenstoffmonoxyd, Stickoxid und Rußpartikeln gab es schon, als die EG noch EWG hieß. Inzwischen gibt es rund 200 europäische Rechtsvorschriften zu Umweltfragen! EU-weite Grenzwerte gelten inzwischen für SO2, NOx, Partikel, Blei und Kohlenstoffverbindungen. Seit 2013 gilt Euro 6, das den Ausstoß von 80 Milligramm Stickoxid je Kilometer bei Diesel-PKW erlaubt, 1992 genehmigte Euro 1 Nutzfahrzeugen mit Dieselmotor noch 8000 mg/km.

Die Römer und der Preußenkönig

Angefangen mit dem Umweltschutz haben – wie mit fast allem – die Römer. Sie hatten das erste Wasserrecht. Im Mittelalter wurden Strafen eingeführt für Brunnenverunreinigung.

Preußenkönig Friedrich II. erließ  Regelungen zur Gesundung der Luft durch Vorsorge. Mit der beginnenden Industrialisierung ab etwa 1760 gab es die ersten Gesetze zur Luftreinhaltung. Preußen preschte 1831 vor mit einem Dampfkesselgesetz, später folgte in der Gewerbeordnung von 1845 eine Immissionsschutzregelung. Und 1906 wurde ebenfalls in Preußen ein erstes Naturschutzamt installiert.

Die Weimarer Verfassung von 1919 statuierte dann in Artikel 150 einen staatlichen Schutzauftrag zugunsten von Natur und Landschaft. 1936 folgte das Reichsnaturschutzgesetz.

Wirtschaftswunder und Umweltschutz

In der Bundesrepublik war die erste wesentliche Maßnahme des Umweltschutzes 1957 das Wasserhaushaltsgesetz. Mehr als zehn Jahre später wurde unter der Regierung Brandt das erste nationale Ressort mit Umweltfragen befasst. Anstoß waren viele Entscheidungen der USA, damals noch Vorreiter in Sachen Umweltschutz. Benzin-Blei-Gesetz, Bundesimmissionsschutzgesetz, Bundesnaturschutzgesetz, Wasserhaushaltsgesetz und Abwasserabgabengesetz wurden in den 70er-Jahren genauso beschlossen wie 1975 eine Reihe von Strafvorschriften zur Verhinderung von Umweltschäden.

AKW, Alternative Listen, Regierung Kohl

Ölkrise und schwache Wirtschaftsentwicklung dämpften aber ebenfalls in den 70er-Jahren den Elan. Die Regierung Schmidt drängte die Länder zur Errichtung von Kernkraftwerken. Mit dem Anti-Atomkraft-Protest traten Alternative Listen der sogenannten Öko- und Friedensbewegung auf den Plan.

Einen kräftigen Schub gab es unter der Regierung Kohl ab 1983 mit einer neuen Luftreinhaltepolitik: Großfeuerungsanlagenverordnung, Technische Anleitung Luft, Abgasregelungen für Fahrzeuge (1984 wurde beschlossen, dass Neufahrzeuge ab 1989 zwingend mit Katalysatoren auszustatten sind), bleifreies Benzin, eine Enquete zur Klimaschutzpolitik und die Pflicht zur Einspeisung von Strom aus erneuerbaren Energien wurden gesetzlich verankert. Deutschland übernahm die Führungsrolle. Sicher gab der erstmalige Wahlerfolg der Grünen 1983 einen zusätzlichen Impuls. Tschernobyl und die nachfolgende Klimadebatte taten ein Übriges. Zu Beginn der 90er Jahre geriet das Thema aber erneut in den Hintergrund: Gesellschaftliche und politische Prioritäten wurden nach der Wiedervereinigung zu Lasten des Umweltschutzes verschoben.

1998 nahm die rot-grüne Bundesregierung einen neuen Anlauf mit einer ökologischen Steuerreform (Steuern auf umweltbelastende Maßnahmen 2017: 58,9 Milliarden Euro), um zu sparsamem Energieverbrauch zu zwingen und Steuern zur Entlastung der Rentenversicherung zu generieren („Rasen für die Rente“). Weitere Schritte der Regierung Schröder/Fischer:  Ausstieg aus der Kernenergie, Einführung der Verbandsklage für Umweltverbände – davon profitiert heute der Abmahnverein „Deutsche Umwelthilfe“ (DUH) – sowie Novelle des Naturschutzgesetzes. Der grüne Punkt wurde eingeführt und das Dosenpfand. Das Bestreben, die vielfältigen und zersplitterten Regelungen zu Umweltschutz in einem Umweltgesetzbuch zusammenzufassen, blieb hingegen im Bundesrat stecken.  

Morgen in Teil 2: Das Labor und das richtige Leben.

Der Autor: Dietrich Austermann ist Jurist und CDU-Politiker. Von 1982 bis 2005 war er Mitglied im Deutschen Bundestag, von 2005 bis 2008 gehörte er der Landesregierung Schleswig-Holstein als Minister für Wissenschaft, Wirtschaft und Verkehr an.

Foto: motorfuture

Dietrich Austermann