Big Data is watching you

Die rasch wachsende Digitalisierung aller Lebensbereiche macht aus dem privaten den gläsernen Menschen. Nicht zuletzt die Mobilität öffnet den Datensammlern und -jägern Tür und Tor. Das Grünbuch „Big Data in der Mobilität“ gibt Einblicke und Ausblicke.

Das Grünbuch ist ein Gemeinschaftsprojekt der Professoren Nadine Gatzert, Susanne Knorre, Horst Müller-Peters und Fred Wagner von den Universitäten Erlangen-Nürnberg und Leipzig, der TH Köln und der Hochschule Osnabrück. Es geht von der Annahme aus, dass „die Vielfalt der erzeugten Mobilitätsdaten und die Möglichkeit der Verknüpfung mit Kontextinformationen aus zusätzlichen Datenquellen wie Umgebungs- oder Verkehrsinformationen zu einer hohen Komplexität“ führe. Negative Folge sei ein erschwertes „Verständnis für die mögliche Verarbeitung, Aggregation und Nutzung der Daten durch die zahlreichen Akteure im Mobilitätsmarkt und darüber hinaus“. Im Klartext: „Es besteht häufig ein Mangel an Transparenz.“

Datenspuren, digitaler Fußabdruck

Die Forscher formulieren deshalb das Ziel, „zunächst eine Kartierung der Mobilitätsdatenspuren vorzunehmen, um Entstehungsmöglichkeiten, potentielle Verarbeitung und Nutzung von Mobilitätsdaten möglichst umfassend darzustellen“. Die „Karte der Datenspuren“ soll außerdem „einen Überblick zu individuell erfassten Daten, deren Vernetzung und potentielle Nutzung durch unterschiedliche Akteure“ liefern. Soll heißen: Es geht um eine Datenbasis für die Bewertung des „digitalen Fußabdrucks in der Online-Community“. Oder profaner: Die Studie untersucht, „wo Mobilitätsdaten aktuell entstehen, gesammelt und genutzt werden“.  

Die Liste ist lang

Eine Überraschung ist es nicht, aber die Liste der technischen Fährtenleger ist lang: 

  • Devices wie Smartphones und Navigationsgeräte sowie Wearables wie Smartwatches und Fitnessuhren.
  • Kraftfahrzeuge mit ihren Sensoren, Bordcomputern und gegebenenfalls Telematik-Boxen von
    Versicherungen.
  • Sharing-Mobilitätsdienste wie Car-Sharing, E-Scooter, E-Bikes.
  • Schließlich die öffentlichen Verkehrsmittel im Nah- und Fernverkehr, also Bahn, Bus und Taxi.

Die Big-Data-Akteure im Lebensbereich Mobilität können vor diesem Hintergrund buchstäblich aus dem Vollen schöpfen. Resultat ist eine Fülle von datenbasierten Dienstleistungen, die permanent wächst, zum Beispiel

  • Information (freie Parkplätze, Spritpreise),
  • Entertainment (Musik- und Videostraeming im Fahrzeug,
    Social Media-Nutzung),
  • dynamische Navigation (Echtzeit-Verkehrsdaten),
  • Fahrzeug-/Wartungsmanagement,
  • Preisfindung und Abrechnung bei Sharing-Diensten,
  • Verkehrssicherheit (Nutzung von Mobilitätsdaten zur
    Verbesserung des Verkehrsflusses, Verkehrssicherheit) sowie
  • perspektivisch der Einsatz autonomer Fahrzeuge.
Verarbeitung und Nutzung von Mobilitätsdaten: Devices (Smartphone, Wearables, Navis) und Apps

Das Smartphone generiert zahlreiche Mobilitätsdaten über das Betriebssystem und die eingebauten Sensoren. Hinzu kommen die Apps für Kommunikation (Chats), Handel, Navigation, Social Media, Streaming, Mobilitätsservices (zum Beispiel Spritpreise, E-Tankstellen), Fitness, Finanzen, Reise- und Buchungsvorgänge oder Wetter.

Auch hier gilt: Die gesammelten Daten (Ortungsdienste, Tracking, Gesundheit, Sensor- und Nutzungsdaten) hängen von Datenschutzeinstellungen ab. Und: Je nach Freigaben können Daten zu Standort, Personalien (Wohnort, Alter), Social-Media-/Medien-Nutzungsdaten, Zahlungsdaten oder Gesundheitsdaten gesendet und aggregiert werden. Und sogar der Zugriff auf Kontakte und Fotos ist möglich.

Das ist Stoff, aus dem die Marketingträume sind:

  • Aus der Nutzung von Smartphone und Apps können Präferenzen, Nutzungsdaten sowie Persönlichkeitsprofile abgeleitet werden.
  • Gesundheits- und Vitaldaten wie Puls, Herzfrequenz, Schritte und Position des Geräts können direkt über das Smartphone oder über Wearables (zum Beispiel Fitnessarmbänder) gesammelt werden.
Verarbeitung und Nutzung von Mobilitätsdaten: Sharing-Dienste und öffentliche Verkehrsmittel

Bei der Nutzung von diverser Sharing-Mobilitätsservices (Auto, E-Scooter, Fahrräder, Mitfahr-Apps) fallen grundsätzlich Daten an wie bei einem eigenen Fahrzeug. Hinzu kommen die Nutzungs- und Zahlungsdaten.

Aber es geht noch mehr bei Flottenfahrzeugen und öffentlichen Verkehrsmitteln.

  • Vor dem Hintergrund des Geschäftsmodells Fahrzeugvermietung  können auch personenbezogene Daten datenschutzrechtlich einfacher erhoben, verarbeitet und genutzt werden.
  • Bei neueren Flotten können auch die Fahrzeuge selbst vernetzt sein, und die Daten können über den Hersteller direkt an den Car-Sharing-Anbieter übermittelt werden.
  • Car-Sharing-Anbieter wie Share Now setzen darüber hinaus Apps ein, um Führerscheindaten hochzuladen und Mietautos aufschließen zu können.
  • Mobilitätsdaten fallen auch bei öffentlichen Verkehrsmitteln im Nah- und Fernverkehr an und umfassen – bei Verwendung einer App mit verknüpftem Kundenkonto – Fahrgastdaten sowie Standort-, Nutzungs- und Zahlungsdaten.
  • Und auch bei Taxis fallen bei Verwendung einer App Daten an, die gespeichert und gegebenenfalls ausgewertet werden.
Verarbeitung und Nutzung von Mobilitätsdaten: Mobility-as-a-Service

Um die Nutzung von Mobilitätsservices insbesondere in urbanen Räumen zu vereinfachen und flexibel und bargeldlos über Verkehrsmittel hinweg zu ermöglichen (von der Bahn über lokale öffentliche Verkehrsmitteln wie Bus und Straßenbahn bis hin zu Car-, Bike- und E-Scooter-Sharing sowie Taxis), werden multimodale Mobilitätsplattformen entwickelt, die öffentliche Verkehrsmittel und Sharing-Dienste integrieren. Einer der größten Plattformentwickler für „Mobility-as-a-Service“ ist das Tech-Startup Mobimeo, eine Tochterfirma der Deutschen Bahn, an der nach der Übernahme im Oktober 2020 eines Teils der moovel Group auch BMW und Daimler Mobility minderheitsbeteiligt sind.
Die App von Reach Now (moovel Group) integriert sieben Transportmittel, darunter ÖPNV (Hamburger Verkehrsverbund, Verkehrsverbund Rhein-Ruhr), Taxi (Free Now), Car-Sharing (Share Now), Bike-Sharing (nextbike) und E-Scooter (Voi, Tier). Bezahlt wird bargeldlos mit Kreditkarte oder PayPal.

Verarbeitung und Nutzung von Mobilitätsdaten: Auto

Das moderne Automobil ist datentechnisch ein trojanisches Pferd. Während es seine Passagiere von A nach B transportiert, sammelt es unablässig Daten und Fakten zu Mensch und Maschine. Zum Beispiel

 

  • Navigationsdaten (Routen, Ziele, Routeneinstellungen),
  • Bewegungsdaten (zu Position, Geschwindigkeit, Beschleunigung und Bremsen),
  • Betriebsdaten (Motor, Drehzahl, Gang, Verbrauch),
  • Sicherheitsdaten (Abstand, Spurhaltung, Rückfahrkamera),
  • Fehler- und Wartungsdaten (Ölstand, Bremsen, Verschleiß),
  • Umgebungsdaten (Verkehrszeichenerkennung, Außen- und Innentemperatur, Regenerkennung),
  • Komfort- und insassenbezogene Daten (Sitzeinstellung, Klimaanlage, Mediennutzung, Kommunikation) sowie
  • Fahrerzustandsdaten (Müdigkeitserkennung, Reaktionszeit).

Das Auslesen der Daten erfolgt über die SIM-Karte, das Steuergerät der Bordelektronik oder das GPS, das seit 2018 wegen des gesetzlich vorgeschriebenen automatischen Notrufsystems in jedem Neuwagen obligatorisch ist.

Die Auswertungen erlauben dabei vielfältige Rückschlüsse auf die Nutzung des Fahrzeugs. Zum Beispiel

  • die letzten 100 Lade- und Entladezyklen der Starterbatterie mit Uhrzeit, Datum und Kilometerstand,
  • die 100 letzten Abstellpositionen des Fahrzeugs,
  • die jeweils gefahrenen Kilometer auf Autobahnen, Landstraßen und in der Stadt,
  • die Ladeaktivitäten bei E-Autos (wie und wo wurde geladen, wie stark war die Antriebsbatterie zuvor entladen) oder
  • den jeweiligen Standort der zuvor benutzten Ladestationen.

Und die Datensammelwut des zeitgenössischen Automobils wird gerne auch persönlich, gecheckt wird nämlich auch der Fahrer:

 

  • Biometrische Assistenzsysteme können über den direkten Hautkontakt mit dem Lenkrad beispielsweise die Hauttemperatur, den Hautleitwert als Indikator für Stress, die Herzfrequenz und die Sauerstoffsättigung im Blut messen;
  • Ein im Sitzbezug des Fahrersitzes integriertes EKG misst die Herzaktivität;
  • Infrarotkameras registrieren Pupillenveränderungen, Veränderungen der Blickrichtung oder der Kopfposition, messen Anzahl und Dauer der Augenlidschläge und schätzen mit Hilfe von Algorithmen die mentale Belastung und Müdigkeit ein.

Keine Frage: Die permanente Erfassung von Vitaldaten erlaubt umfassende Rückschlüsse auf den Gesundheitszustand des Fahrers.

Keine Frage aber auch, dass Big Data in der Mobilität nicht zuletzt durch regulatorische Entwicklungen getrieben ist.

Big Data in der Mobilität: getrieben auch durch regulatorische Entwicklungen

Immer gerne mit am Start, wenn es um regulatorische Initiativen geht, ist die Europäische Union. Die neue EU-Verordnung Nr. 2019/2144 zum verpflichtenden Einbau von Fahrzeugsicherheitssystemen verlangt zum Beispiel

  • Notbremsassistenzsysteme,
  • Notfall-Spurhalteassistenten,
  • Rückfahr- und Abbiegeassistenten,
  • eine ereignisbezogene Datenspeicherung,
  • Müdigkeits-/Aufmerksamkeitswarnsysteme,
  • „intelligente“ Geschwindigkeitsassistenten sowie
  • die Einrichtung einer Schnittstelle für alkoholempfindliche Wegfahrsperren.

Die Umsetzung erfolgt gestaffelt – für die meisten Systeme ab Juli 2022 für alle neue Modelle und ab Juli 2024 für neu zugelassene Fahrzeuge generell.

Schon klar, dass die Brüsseler Regulierungsbürokratie bereits neue Ideen hat: Die Vernetzung von Fahrzeugdaten mit Umfelddaten soll perspektivisch ein autonomes Tempolimit-Regiment errichten. Die Technik soll die Geschwindigkeit dann automatisch reduzieren, sobald ein Tempolimit erreicht wird. Das, sagen die EU-Experten, wird die Zahl der Unfälle um 30 Prozent und die Zahl der Verkehrstoten um 20 Prozent senken.

Big Data in der Mobilität: Herausforderungen

Die Grünbuch-Autoren benennen vor diesem Hintergrund zunächst einmal konkrete Hinweise und Forderungen:

  • „Da viele datenbasierte Geschäftsmodelle in der Mobilität personenbezogene Daten nutzen, ist das Vertrauen der Nutzer und ihre Bereitschaft zur Weitergabe von Daten entscheidend für den Erfolg solcher Geschäftsmodelle.“
  • „Der Schutz privater Daten vor Missbrauch ist daher von besonderer Relevanz.“
  • „Gleichzeitig unterliegen personenbezogene Daten zu Fahrer, Halter, Mitfahrern oder sonstigen Personen gemäß der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) besonderen datenschutzrechtlichen Voraussetzungen bezüglich Sammlung, Weitergabe und Speicherung.“
  • „Herausforderungen bestehen aber auch mit Blick auf eine häufig unzureichende Transparenz mit Blick auf die erhobenen und verarbeiteten Daten.“

Von Verbraucher- und Datenschützern gleichermaßen kritisiert würden aber nicht zuletzt „Alles-oder-Nichts-Regelungen“, die die Nutzung von bestimmten Mobilitätsdienstleistungen von der Zustimmung zu bestimmten Datenfreigaben voraussetzten und damit die Abhängigkeit der Nutzer von den angebotenen Dienstleistungen ausnutzten.

 

Fotos: motorfuture (2), Pixabay (2)

Oskar Weber