Teure Gimmicks oder echter Sicherheitsgewinn? Die wachsende Flut der Assistenzsysteme in den Autos ist gut für Umsatz und Rendite der Hersteller – bei vielen Autofahrern stößt der elektronische Overkill allerdings ebenso auf Skepsis wie die Vision vom autonomen Fahren.
Vor wenigen Wochen, als der neue VW-Chef noch der alte Porsche-Chef war, sagte Matthias Müller diesen Satz: „Das autonome Fahren stellt für mich einen Hype dar, der durch nichts zu rechtfertigen ist.“ Der mediale Shitstorm ließ nicht lange auf sich warten. Müller sei arrogant, rückwärtsgewandt und nicht zuletzt unverantwortlich überheblich in Bezug auf die Digital-Konkurrenz aus dem Silicon Valley, hieß es in den Kommentar- und Leserbriefspalten. Und Medien, die es scheinbar gut meinten mit dem Bayern in Schwaben, verwiesen auf dessen exponierten Job. „Dass der Chef eines Sportwagenher-stellers etwas dagegen hat, wenn der Mensch als Fahrer abgeschafft werden soll, ist an sich keine große Überraschung“, bemerkte etwa Der Spiegel, nur um im nächsten Satz die Glut im Volkswagen-Universum zu schüren: „Aber Müllers Einschätzung birgt Zündstoff, die scharfen Worte bringen den Hausfrieden im VW-Konzern in Gefahr.“ Schließlich habe sich die Konzernmarke Audi, wie Porsche eine VW-Tochter, dem Thema seit Jahren fest verschrieben.
Gut deshalb, dass der neue Boss in Wolfsburg jetzt höchstpersönlich Ordnung in die autonome Hack-ordnung seines automobilen Riesenreichs bringen kann. Dabei wird ihm helfen, dass er sich mit seiner persönlichen Einschätzung zunächst einmal im Einklang mit höchsten staatsphilosophischen Grund-sätzen weiß. Die gesellschaftlich tragenden Grundpfeiler Recht, Ethik und Ordnung basieren nun einmal auf einer komplexen intellektuellen Verständnisleistung, die bislang – und hoffentlich auf ewig – dem menschlichen Gehirn vorbehalten bleibt. Wie also, um Himmels Willen, müsste ein in ein Kraft-fahrzeug hinein konstruiertes elektronisches System beschaffen sein, um in einer konkreten Gefahren-situation zwischen gut und böse zu unterscheiden, zwischen kleinerem und größerem Personen-schaden, zwischen höherwertigeren und minderwertigeren Opfern?
Müller stellt exakt diese Frage. Und bevor exakt diese komplexe Gemengelage nicht final geklärt werden kann, ist autonomer Individualverkehr ein Widerspruch in sich.
Zwei Drittel: Lasst uns in 20 Jahren nochmals drüber reden
Das Publikum denkt mehrheitlich ganz ähnlich. Die Ergebnisse einer jetzt veröffentlichten repräsen-tativen Forsa-Umfrage im Auftrag der Prüforganisa-tion Dekra belegen es. Im Zentrum der Marktfor-schung stand unter anderen diese Frage: „Glauben Sie, dass sich autonom fahrende Autos – also Autos, die über Sensoren und andere Messinstrumente vollständig alleine fahren – in Zukunft durchsetzen lassen?“
31 Prozent der befragten Deutschen (Stichprobe 1003 Befragte) halten das gegenwärtig generell für ausgeschlossen, und 32 Prozent können sich eine technische und juristische Lösung frühestens „in mehr als 20 Jahren“ vorstellen. Immerhin 26 Prozent erwarten eine Realisierung „in den nächsten zehn bis 20 Jahren“, aber nur acht Prozent halten die futuristische Vollautonomie „in den kommenden zehn Jahren“ für ein realistisches Szenario.
Knappe Mehrheit: Assistenzsysteme bringen kaum Sicherheitsgewinn
Aber auch die ständige wachsende Flut der Assi-stenzsysteme, die seit einigen Jahren förmlich über den Markt hereinbricht, wird bei der Kundschaft kritisch gesehen. Dass die „zunehmende Automati-sierung im PKW“ (Fragestellung) generell „einen großen Sicherheitsgewinn“ bringe, sagen immerhin 49 Prozent der deutschen Autofahrer. Aber eine knappe Mehrheit von 50 Prozent gibt nur wenig („kleiner Sicherheitsgewinn“: 45 Prozent) oder gar nichts („kein Sicherheitsgewinn“: fünf Prozent) auf die Schlagkraft der elektronischen Hilfstruppen.
Keine gute Bilanz, setzt man die angebotenen Assistenzsysteme in Relation zu den teilweise hap-pigen Preiskalkulationen der Hersteller. Positiv schnitten auf die Frage nach dem „größten Sicher-heitsgewinn“ (bei jeweils maximal drei erlaubten Nennungen) immerhin die folgenden Systeme ab: Totwinkel-Assistent (60 Prozent), Notbrems-assistent (54 Prozent), Fußgänger-Erkennungs-system (43 Prozent) und Abstandsregeltempomat (40 Prozent).
Nur 24 Prozent der befragten Deutschen wollten hingegen dem Spurhalteassistent „den größten Sicherheitsgewinn“ attestieren. Und sogar im einstelligen Prozentbereich verebbte die Zustimmung für den Staupiloten (Stop-and-Go-Assistent, acht Prozent), den temporären Autobahnpiloten (fährt auch bei höheren Geschwindigkeiten im Stop-and-Go-Verkehr selbstständig, fünf Prozent) und die auto-matische Einparkhilfe (fünf Prozent).
Schulterblick war gestern
Die genannten Einschätzungen decken sich, keine Überraschung, mit den Ausstattungswünschen für das eigene Auto (auch hier waren bis zu drei Nenn-ungen möglich). Auf das magische Auge des Tot-winkel-Assistenten möchten sich 64 Prozent der deutschen Autofahrer verlassen – der Schulterblick kommt aus der Mode. Der Notbremsassistent mit einer Zustimmungsrate von 46 Prozent fällt in der Wunschliste für Assistenztechnik schon deutlich ab. Mit Nennungen noch oberhalb der Drittel-Marke folgen die Fußgängererkennungskamera (41 Prozent) und der Abstandsregeltempomat (38 Pro-zent). Spätestens hier erlahmt der Wunsch nach weiterer elektronischer Unterstützung: Gerade noch 24 Prozent der deutschen Autofahrer setzen den Spurhalteassistenten auf die Sicherheitsliste fürs eigene Auto, 23 Prozent den Parkassistenten und 20 Prozent den Staupiloten (Stop-and-Go-Assistent).
Vielleicht liegt es an der Gewissheit, dass die eigene Vorsicht und Umsicht beim Autofahren durch nichts zu ersetzen ist. Schließlich schrumpfen auch die bestens Assistenzsysteme in vielen Fällen zu hilflosen Helfern, wenn die Frau oder der Mann hinterm Steuer nicht bei der Sache ist. Dann bleibt vom hehren Ziel der elektronischen Rundum-sorglos-Sicherheit nur ein Helferleinsyndrom.
Die Kundschaft ahnt es, und ein Blick in die Preislisten schafft Gewissheit. Bei der Mercedes A-Klasse zum Beispiel kosten Totwinkel-Assistent und Spurhalte-Assistent 928 Euro extra. Für den Abstands-regeltempomat sind 1023 Euro fällig und für den Parkassistenten 803 Euro. Macht 2.750 Euro. Gemessen am Fahrzeugpreis (A 160 ab 23.750 Euro) ist das wenig. Als absolute Summe ist es viel. Nur mal als Zahlenspielerei: 2.750 Euro sind 40 Prozent Anzahlung auf einen fabrikneuen Dacia Sandero. Das ist kein Mercedes, schon klar. Aber es ist ein einfaches, dabei hervorragend fahrtüchtiges Auto, bei dem der Fahrer noch auf sich selbst aufpassen muss. Obwohl: Wenn es wirklich einmal eng wird, setzt auch der rustikale Dacia seine elektronischen Sicherheitsbeauftragten in Marsch – ABS, ESP und Airbags sind mittlerweile in jedem Neuwagen serienmäßig.