Wie doof ist Diesel-Gate?

Dass Volkswagen sein Diesel-Desaster ausgerechnet auf dem US-Markt verursacht hat, ist ein besonders kurioser Aspekt der Geschichte. 

Diesel-Gate, der amerikanische Alptraum des Volkswagen-Konzerns, ist ein absurder Witz. Ein Witz mit einer ganzen Reihe von Handlungssträngen. Mit roten Fäden, die sich so selbstverständlich ergän-zen, verknüpfen und schließlich verwirren, dass das Publikum staunend vor einer scheinbar gelun-genen Komödie steht. Einfacher Stoff, den jeder kapiert. Holzschnittartige Protagonisten der mensch-lichen Hybris. Typen, die humorlos genug sind, sich im Schlussakt der Lächerlichkeit preiszugeben.

Diesel-Gate ist so betrachtet ein guter Witz. Am Ende ist ja nicht einmal klar, ob die Pointe der Pointen explodiert oder ob sie implodiert ist. Dumm nur, dass es um so viel Geld geht. Um so viel Vertrauen. Um Geschäftskapital also. Kein Witz zum Lachen.

Doch der Reihe nach: Amerika ist ein Land des Überflusses. Das größte Steak, der größte Burger, Zuckerwasser aus der Dreiliter-Flasche, Kaffee bis zum Abwinken. All you can eat! Amerika ist ein Land der Verschwendung. Klimaanlagen, die stets am Rande der Erschöpfung rasseln, Holzhäuser mit der Wärmedämmung von Tropfsteinhöhlen, Automobile zum Fahren, nicht zum Kraftstoffsparen.

Sind die Amerikaner dumm? Nein, sie sind nur anders. Fünf Prozent der Erdbevölkerung beanspruchen 25 Prozent des Weltenergieverbrauchs. Es ist wie es ist, sagen sie. Dann steigen sie in den dreieinhalb Tonnen schweren V8-Pickup, donnern zum Getränkemarkt an der nächsten Ecke und kaufen einen Sixpack Bier.

Es ist wie es ist. Amerika ist anders. Es fährt auch anders. Auf dem Top-3-Podest der meistverkauften Autos standen 2014 ausschließlich durstige Blecheimer aus dem Pick-Up-Segment: Ford F-Series (754.000 Einheiten), Chevrolet Silverado (530.000), Dodge Ram (440.000). Geräumige Mittelklasse-Limousinen und -SUV mit solidem Preis-Technik-Verhältnis vervollständigten das Top-Ten-Ranking: Toyota Camry (429.000), Honda Accord (388.000), Toyota Corolla (340.000), Honda CRV (335.000), Ford Fusion (in Europa Mondeo, 307.000), Toyota RAV4 (268.000) und Hyundai Sonata (217.000). Allesamt Benziner. Wenn so ein Auto acht, neun oder zehn Liter schluckt, ist das bei einem Preis von 70 Dollar-Cent völlig in Ordnung. Kein Amerikaner will sich wegen drei Liter Verbrauchsvorteil an die öligen Zapfsäulen der Trucker stellen und auf dem Weg zur Kasse durch Dieselpfützen schliddern.

Kaum anzunehmen, dass das VW-Topmanagement die Fakten nicht kannte. Aber am deutschen Inge-nieurswesen musste mal wieder die Welt genesen. Kundenkultur hin, Marktmacht her: Mit dem Clean Diesel sollte im größten Steakhouse der Welt ausgerechnet ein Tofu-Burger die Speisekarte rocken. Wie kläglich die Köche aus Wolfsburg scheiterten, zeigt sich an den nackten Zahlen: Knapp 500.000 in den USA zugelassene VW Diesel der Baujahre 2009 bis 2015 stehen unter Manipulationsverdacht – macht pro Jahr 70.000 Exemplare. Zum Vergleich: Der US-Markt schob alleine 2014 etwas mehr als 16,5 Mil-lionen Neuwagen von den Fabrikhallen in die Kundengaragen. Marktanteil der VW-Diesel: 0,4 Prozent.

Soll heißen: Die VW-Bosse riskierten den Manipulationsskandal in der Hochburg des Verbraucher-schutzes – jedenfalls in Bezug auf die Rechtspraxis – für einen vorhersehbaren Flop. Das ist schon ein erstaunlicher Vorgang. Oder um es mit dem Volksmund zu formulieren: Wie doof ist das denn?

Wie marktfern das VW-Topmanagement in den vergangenen Jahren agierte, zeigen übrigens auch zwei andere zentrale Beispiele. Toyotas frühe und mutige Hybrid-Strategie wurde von den VW-Chefs lange als technischer Irrweg diffamiert. Und als sprichwörtlicher Holzweg wurde in Wolfsburg Renaults Budget-Car-Strategie bespöttelt. Niemand wolle heutzutage noch Holzklasse fahren – als ob sich das Branchenwachstum auf die klassischen Automobilmärkte Westeuropa, Nordamerika und Japan be-schränke. Die Renault-Marke Dacia findet im Niemandsland mittlerweile deutlich über eine Million Kunden pro Jahr. Übrigens auch in den reifen Märkten. Viele der sogenannten kleinen Leute finden es gut, sich plötzlich wieder einen Neuwagen leisten zu können. Einen bezahlbaren Volkswagen, der vor allem eines können muss: zuverlässig und sicher von A nach B fahren.

Oskar Weber