Der Mensch bleibt das Maß

Was gibt es eigentlich Neues in Sachen Autonomes Fahren?

Der lautstarke Hype um die Supertechnologie Autonomes Fahren ist fürs Erste verstummt. Zu viele Fragezeichen verstellen die Versuchsanordnungen in den Entwicklungslaboren und auf den Teststrecken. Die bislang entwickelten Systeme sind störanfällig, die Datenübertragung ist zu langsam, die Technik lebensgefährlich. Vollmundige Fast-Vollzugsmeldungen wurden mittlerweile wieder einkassiert, eine flächendeckende Realisierung vollautomatischer Fahrsysteme ist wieder in weite Ferne gerückt. Die Lautsprecher tönen nur noch kleinlaut, der Mensch bleibt das Maß der Dinge.

Im März 2017 hat der Bundestag eine Ergänzung des Straßenverkehrsgesetzes beschlossen. In ihr wurde der Betrieb von Kraftfahrzeugen mittels hoch- und vollautomatisierter Fahrfunktionen „im Rahmen der bestimmungsmäßigen Funktionen“ für zulässig erklärt. Der Fahrzeugführer darf sich von der Fahrzeugführung abwenden, wenn die hoch- und vollautomatisierte Fahrfunktion die Kontrolle über das Auto übernommen hat.

Während normalerweise der Fahrer alle Fahrfunktionen selbst ausführt, setzen sich immer mehr Assistenzsysteme durch. Im teilautomatisierten Fahren können auch Funktionen wie Einparken, allgemeine Längsführung, Beschleunigen und Abbremsen vom Fahrzeugsystem übernommen werden. Bisher kaum realisiert, aber jetzt zugelassen, ist das hochautomatisierte Fahren, bei dem der Fahrer im Bedarfsfall vom System aufgefordert wird, die Führung seines Fahrzeugs zu übernehmen. Die automatische Fahrfunktion muss jederzeit manuell übersteuerbar und deaktivierbar sein. Die EU hat hierzu eine Richtlinie, also ein in allen EU-Ländern gültiges Gesetz erlassen. Sie schreibt eine nach internationalen Regeln gültige Typengenehmigung und eine Beschränkung der Geschwindigkeit auf 130 km/h vor.

Beim vollautomatisierten Fahren ist das System in der Lage, das Fahrzeug selbst in einen „risikominimalen“ Systemzustand, also zum Stillstand am Straßenrand zu bringen.

Im niedrigen Geschwindigkeitsbereich

Inzwischen laufen weltweit Tests in der Praxis mit Fahrzeugen, die keinen Fahrer, sondern nur noch Passagiere haben. Das menschliche Agieren beschränkt sich auf das Starten und Zieleingeben. Bei exakter Gesetzesauslegung gestattet die Novelle des Straßenverkehrsgesetzes von 2017 aber noch nicht die volle Ausschöpfung des vollautomatisierten Fahrens. Die Nutzung solcher Fahrsysteme ist bisher weiterhin nur in vom öffentlichen Straßenraum abgetrennten Bereich im niedrigen Geschwindigkeitsbereich zulässig – einige wenige öffentliche Nahverkehrssysteme sind die Ausnahmen dieser Regel. Weltweit gibt es auch kein einziges Land, in dem vollautomatisiertes Fahren gestattet wäre.

Herstellerhaftung

Die Politik erwartet von der gesetzlichen Neuregelung die grundlegende Veränderung der Mobilität mit weniger Unfällen und weniger Staus, weil die Technik generell sicherer und zuverlässiger agiere als der Mensch. Und weil das so sei, hafte der Hersteller bei Unfällen, wenn der Computer die zulässige Fahraufgabe hatte.

Wichtiger Schritt 5G-Netz

Erfahrungsberichte gibt es bisher allerdings nicht. Und die eigentlich für Ende 2019 vorgesehene Evaluation ist offensichtlich durch viele Aktivitäten und Berichte der beteiligten Ministerien ersetzt worden.

Ein wesentlicher Schritt in Richtung Automatisierung ist natürlich die Abdeckung des Landes mit einem Mobilfunknetz, das den Echtzeitstandard garantiert, damit Fahrzeuge untereinander Daten austauschen können. Mit der Vergabe der Mobilfunklizenzen für den 5G-Standard durch die Bundesregierung/Bundesnetzagentur ist die politische und allgemeine Erwartung verbunden, dass flächendeckend in Deutschland Daten-Übertragungsraten von 10.000 Megabit/Sekunde möglich werden, also eine Datenübertragung in Echt-Zeit.

Skeptische Bürger

Die Bürger sind noch misstrauisch. 45 Prozent glauben nicht an die Verlässlichkeit der Fahrzeugtechnologie und haben Angst vor Hackern, wie der ADAC jüngst ermittelt hat. Eine PROGNOS-Studie erwartet wegen des langen Lebenszyklus der Autos erst ab 2030 PKW mit Citypilot und erst ab 2040 das Angebot von Autos, die völlig autonom von Tür zu Tür kommen.

Der Technologiewettbewerb, in dem die deutschen Autobauer nach Meinung von VW-Chef Herbert Diess noch ein bis zwei Jahre hinterherhinken, ist in vollem Gang. BMW und Daimler wollen im Wettrennen mithalten und haben eine langfristige Zusammenarbeit in Sachen Autonomes Fahren vereinbart. Umfassende Softwarekompetenzen und digitale Fähigkeiten sind unerlässlich, um im Markt zu bestehen.

Klotzen, nicht kleckern

Die deutsche Verkehrspolitik bezeichnet es als ein wesentliches Ziel im Bundeshaushalt 2020, die Voraussetzungen für funktionierende, effiziente, nachhaltige und globale Mobilitätsströme zu schaffen. Dazu gehören die flächendeckende Versorgung mit schnellem Internet, für die im Haushalt über zwei Milliarden Euro eingesetzt werden, und die intelligente Modernisierung der Mobilität: alternative Antriebe und Kraftstoffe, die Vernetzung von Fahrzeugen und Infrastruktur, intelligente Verkehrssysteme und das automatisierte Fahren. Sie sollen enorme Wertschöpfungspotentiale für den gewerblichen und privaten Verkehr eröffnen, nachhaltige Zukunftstechnologien der Mobilität 4.0 fördern und die Wirtschaft dabei unterstützen, ihre Innovationsführerschaft auch im digitalen Zeitalter zu behaupten.

Das automatisierte/autonome und vernetzte auch grenzüberschreitende Fahren (AVF) soll mit Forschungsaktivitäten unterstützt werden. Minister Scheuer (CSU) kündigte hierzu eine Woche vor der Kommunalwahl in Bayern die Investition einer halben Milliarde für ein Forschungszentrum “Mobilität der Zukunft“ in München (!) an. Bei der Opposition löste dies kritische Fragen aus.

Klotzen, nicht kleckern ist die Devise, nachdem Deutschland in der Digitalisierung zurückgefallen ist. 480 Millionen Euro sollen aus dem Sondervermögen Digitale Infrastruktur in den Ausbau der Gigabitnetze gegeben werden, zusätzliche 3,4 Milliarden Euro werden für weitere Jahre gebunden. Für die konkrete Umsetzung der Strategie Automatisiertes und vernetztes Fahren erhöhte der Haushaltsausschuss die Mittel noch einmal um 31 Millionen Euro auf 73,6 Millionen Euro.

Aktionsplan Forschung

Wesentliche Schritte der Bunderegierung nach der Änderung des Straßenverkehrsgesetzes sind jetzt

  • ein Maßnahmenplan zur Schaffung von Ethikregeln für Fahrcomputer,
  • die Einrichtung von Testfeldern für Autonomes Fahren im Realverkehr, insbesondere auf Autobahnen (Digitales Testfeld A9),
  • die Vernetzung von Verkehrszeichen,
  • die Unterstützung der Forschung sowie
  • das Bemühen um einheitliche Regeln in Europa.

Im Juli 2019 haben die Bundesministerien für Forschung, Wirtschaft und Verkehr den Aktionsplan „Forschung für Autonomes Fahren“ beschlossen.

Es ist viel in Bewegung. Die Zeit drängt. Der Wettbewerb in den USA, in Japan, in Südkorea und in China schläft nicht.

 

Der Autor: Dietrich Austermann ist Jurist und CDU-Politiker. Von 1982 bis 2005 war er Mitglied im Deutschen Bundestag, von 2005 bis 2008 gehörte er der Landesregierung Schleswig-Holstein als Minister für Wissenschaft, Wirtschaft und Verkehr an.

 Foto: motorfuture

 

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