Die Maut-Basher

Die mengenmäßig mächtigen Multiplikatoren des Zeitgeschehens arbeiten sich seit geraumer Zeit an allem ab, was nicht ihrem Mainstream entspricht. Die Grenzen zwischen Nachricht und Meinung werden dabei mit atemberaubender Selbstverständlichkeit verwischt, Kommentare geraten zu Tribunalen. Vergangene Woche war – wieder einmal – die Maut an der Reihe. Der Bundesverkehrsminister und seine Partei wurden dabei in einer befremdlichen Weise mit Spott und Häme übergossen, die nicht so recht passen will zu der in diesen Tagen viel beschworenen politischen Kultur.

Was ist passiert? Die EU-Kommission hat sich endlich dazu durchgerungen, Deutschland wegen seiner Pläne für eine Pkw-Autobahnmaut vor dem Europäischen Gerichtshof zu verklagen. Die Kommission erkennt in dem Gesetz eine Diskriminierung ausländischer Autofahrer. Das „Gesetz zur Einführung einer Infrastrukturabgabe für die Benutzung von Bundesfernstraßen“ sieht nämlich vor, die geplante Autobahngebühr auf die deutsche Kraftfahrzeugsteuer anzurechnen – also die Höhe der Gebühr von der jeweils fälligen Kfz-Steuerrechnung abzuziehen. De jure sei das eine Bevorzugung der deutschen Autofahrer; mithin eine Benachteiligung aller Ausländer, die ja in Deutschland keine Kfz-Steuer zahlen. Das kann man so sehen. Niemand wird der Europäischen Union vorhalten, auf die Einhaltung ihrer Regeln und Verträge zu bestehen, auch wenn gerade das nicht ihre Stärke ist.

De facto lässt sich der EU-Einspruch aber auch widerlegen: Eben weil unsere Gäste aus dem Ausland in Deutschland keine Kfz-Steuer zahlen, sollen sie wenigstens eine Gebühr für die Autobahnnutzung entrichten. In Italien, in Frankreich, in Spanien, in Portugal ist das seit Jahr und Tag gängige Praxis. Ebenso in Polen, Kroatien, Slowenien, der Slowakei, Rumänien und Bulgarien. Und natürlich in Österreich und der Schweiz. Man kann es vor allem diesen beiden kleinen Transitländern im Herzen Europas nicht verdenken, dass sie alle Nutzer ihrer Schnellstraßen – also auch die Autofahrer aus dem Ausland – zur Kasse bitten. Die Erhaltung der Infrastruktur ist teuer, der Ausbau sowieso.

Nördlich der Grenzen, also in Deutschland, gilt das genauso. Hier ist die Autobahnnutzung aber kostenlos. Die in Grenznähe wohnenden Bürger, also viele Bayern und übrigens auch Baden-Württemberger, leben im Alltag mit diesem Widerspruch. Hinzu kommt, dass Österreich und die Schweiz unkorrekte Autofahrer mit rigiden Bußgeldkatalogen gängeln und zur Kasse bitten, während manche Raser und Drängler mit alpenländischen Kennzeichen auf den Autobahnen hierzulande das Regelwerk und das Gaspedal mit dem Vollgasfuß treten.

Viele Leute ärgern sich über die Ungleichbehandlung. Das Thema tangiert ihr Gerechtigkeitsempfinden. Und es nützt gar nichts, wenn Großbürger und Kosmopoliten solche Gefühlsregungen als kleinkariert denunzieren. Das richtige Leben ist nun mal kleines Karo. Volksparteien wissen das. Die CSU ist eine Volkspartei. Dem Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt und seiner in München mit absoluter Mehrheit regierenden Partei ist deshalb auch beim schlechtesten Willen nicht vorzuwerfen, wenn sie das Ohr näher am bayerischen Volk haben als die meisten Kommentatoren in Hamburg, Berlin oder Brüssel. Warum der Minister, seine Partei und sein Parteivorsitzender Seehofer für den Programmpunkt Autobahnmaut so geprügelt werden, ist vor diesem Hintergrund ein Rätsel. Verstehen die Maut-Basher die Zusammenhänge nicht? Oder wollen sie sie nicht verstehen?

Die Maut sei ein Nullsummenspiel, behaupten Kritiker. Adam Riese hätte darüber gelacht. Wenn auf Basis aktueller Ministeriumsschätzungen acht Millionen Jahrestickets à 100 Euro und 15 Millionen Zehntages-Tickets à 10 Euro an Transitreisende verkauft werden, bringt das Bruttoeinnahmen in Höhe von 950 Millionen Euro. Abzüglich der Verwaltungskosten – gemeint sind Provisionen, Gehälter und Herstellungskosten, also neuer Treibstoff fürs Sozialprodukt – blieben netto 700 Millionen Euro. Vielleicht liegt die Wahrheit wie so oft in der Mitte. Alles nur „Peanuts“ höhnen die Kritiker. Zynismus hat Konjunktur, wenn die großen Krisen der Zeit nach zwei- oder dreistelligen Milliardenbeträgen verlangen.

Oskar Weber