Die Zukunft der Stadt (1): Das Projekt

Autonomes Fahren, Verkehrswende, neue Mobilität: Das Forschungsprojekt AVENUE21 (TU Wien) skizziert konkrete Szenarien für die Zukunft der Stadt. Wir fassen die Wiener Ergebnisse in einer kleinen Serie zusammen. Folge 1: Das Projekt.

Technisch sind Audi, BMW, Mercedes, VW und natürlich Tesla schon lange in der Lage, Assistenzsysteme in Autos zu installieren, die autonomes Fahren ermöglichen. Theoretisch jedenfalls. Neueste Fahrzeuge finden allein das Ziel und die Spur, halten Tempo und Abstand. Deutschland ist bei den rechtlichen Grundlagen Vorreiter mit einem Gesetz, das autonomes Fahren bis zu Level 4 (das Fahrzeug fährt überwiegend selbständig) dem Grundsatz nach gestattet. Einzelgenehmigungen für autonomes Fahren auf kleinen Testflächen wurden inzwischen erteilt.

Das ändert nichts am zentralen Problem der Zukunftstechnik: Die finalen technischen und juristischen Lösungen scheinen vor dem Hintergrund der extremen Komplexität des Verkehrsgeschehens momentan fast unlösbar. Das gilt vor allem für den Einsatz in der Stadt und führt damit zu einer weiteren zentralen Zukunftsfrage: Ist Individualverkehr im urbanen Raum weiterhin nötig, möglich, machbar, ersetzbar?

AVENUE 21: Open Access

Forscher der Technischen Universität (TU) Wien haben jetzt unter Einbeziehung von 300 Experten untersucht, wie die Stadt der Zukunft sozial attraktiv, lebenswert, ökologisch nachhaltig und für den Verkehr der Zukunft (also autonom) gerüstet werden könnte.

Sie haben dies in einem Open Access unter der Überschrift AVENUE 21 veröffentlicht, also für jedermann zugänglich. Sie unterstellen, dass sich die „enge Bindung von gebauter Stadt, Verkehr und Mobilität“ wie in den vergangenen zwei Jahrhunderten verändert, verändern muss, weil sich die neue Technologie des automatisierten und vernetzten Verkehrs (avV) durchsetzen wird. Mit dem deutschen Soziologen Hartmut Rosa („Das CORONA-Virus ist der radikalste Entschleuniger unserer Zeit“) sprechen sie von einer „sich selbstverstärkenden Beschleunigung eines technikgetriebenen sozialen Wandels, der das Alltagsleben stark beeinflusst.“

Politik, Planung, Verwaltung und Zivilgesellschaft sind aufgefordert, die Technologieentwicklung aktiv zu begleiten. Ein Paradigmenwechsel der Mobilität stehe bevor.

„Was kommt da auf uns zu?“

In der Einführung der Studie – „Automatisierter und vernetzter Verkehr – Was kommt da auf uns zu?“ – begründen die Forscher um Mathias Mitterberger die Notwendigkeit, sich mit der Thematik „Stadt der Zukunft“ zu befassen. Das Thema adressiere mit dem Klimawandel und der globalen technischen Entwicklung zwei der großen Treiber des gesellschaftlichen Wandels. Die Integration von automatisiertem Fahren erfordere eine Reflektion der Instrumente zur Stadtgestaltung (Verkehrsmittel, Infrastrukturen, Plattformen und stadtplanerische Steuerung). Sie gestehen aber auch zu, dass die Folgen des Konzeptes „Smart City“ in der Wissenschaft unterschiedlich eingeschätzt werden.

Wie auch immer man sich dem Thema nähere, müssten folgende Punkte diskutiert werden:

  • Neben der technischen Machbarkeit die Wechselwirkung mit den ökonomischen, ökologischen und sozialen Folgen. Mit anderen Worten: ist diese Entwicklung menschlich und zumutbar?
  • Helfen Selbstfahrer Stau zu vermeiden, Verkehr sicherer zu machen und Energie einzusparen?
  • Sind die besonderen Strukturen unserer Städte geeignet, autonomes Fahren intensiv zu testen?

 

Die Wiener Forscher reden in diesem Zusammenhang von Fragestellungen, die Planung, Politik und Gesellschaft gleichermaßen beträfen. Soll heißen: Die Debatte dürfe nicht nur von den Entwicklern der Fahrzeugtechnologien und der ingenieurmäßigen Betrachtung der Konnektivität geführt werden. Medial dargestellte neu entwickelte futuristische und luxuriöse Fahrzeuge in einer menschenarmen Stadt dürften nicht das alleinige Zukunftsbild bleiben. Und: Die Perspektive dürfe selbstverständlich nicht auf die Akteure der Anbieter (Autoindustrie, IT-Wirtschaft, Netzwerkbetreiber) beschränkt werden.

Neue Mobilität im langen Level 4

In den einzelnen Kapiteln der Untersuchung werden die zeitlich naheliegenden Wirkungen automatisierter und vernetzter Fahrzeuge,  der Wandel der europäischen Stadt zur neuen Mobilität, der vernetzte Verkehr im langen Level 4, die lokale Gestaltung in der Übergangszeit zur „Smart City“ und die Handlungsfelder der Verkehrswende thematisiert. Wir werden darüber in mehreren Folgen berichten.

 

Die Studie: AVENUE21. Automatisierter und vernetzter Verkehr: Entwicklungen des urbanen Europa“ ist Ergebnis eines interdisziplinären Forschungsvorhabens an der Technischen Universität (TU) Wien, gefördert von der Daimler und Benz Stiftung. Anhand ausgewählter Städte und Ballungsgebiete wurde untersucht, welche Szenarien für Europa zu erwarten sind und welche Entwicklungen sich bereits heute weltweit abzeichnen.

 

Der Autor: Dietrich Austermann ist Jurist und CDU-Politiker. Von 1982 bis 2005 war er Mitglied im Deutschen Bundestag, von 2005 bis 2008 gehörte er der Landesregierung Schleswig-Holstein als Minister für Wissenschaft, Wirtschaft und Verkehr an.

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Dietrich Austermann