HUX, Herr Müller und der Schiffsdiesel im Sperrgebiet

Inseln im Strom. Neue Episoden aus dem absurden Theater.

Mit zunehmender Reife wächst auch die Ratlosigkeit, jedenfalls in Bezug auf die Seins-Betrachtung. Das ist weniger ein philosophisches als vielmehr ein praktisches Problem. Nicht, dass man die Welt nicht mehr versteht. Ganz im Gegenteil. Die Umrisse des irdischen Irrenhauses gewinnen an Kontur.

Die Liste der Episoden aus diesem absurden Theater ist so lang, dass man nur den Arm ausstrecken muss, um blitzartig an jedem Finger mindestens zehn Beispiele zappeln zu sehen.

Nehmen wir das Thema HUX

Der Volkswagen-Konzern meldet die Gründung des neuen Geschäftsbereichs Holistic User Experience, kurz HUX. „Holismus“, erklärt der Fremdwörter-Duden, ist die „Lehre, die alle Erscheinungen des Lebens aus einem ganzheitlichen Prinzip ableitet“. Und VW erklärt: „Die Zahl der Berührungspunkte zwischen Volkswagen und seinen Kunden wird in den kommenden Jahren weiter steigen. Diese so genannte „Touch Points“ sind im Auto, rund um das Auto, sowie auf Apps und Webseiten im Internet.“ HUX ist also ein Touch-Point-Projekt, und das geht so: „Zu den Kernaufgaben des Bereichs gehört das Schaffen eines unverwechselbaren und einheitlichen Erscheinungsbilds an allen Touch Points, während das Marke und Kunden verbindende digitale Ökosystem weiter wächst.“ 

Tolle Infos, viel gelernt. Das eigentlich Interessante an offiziellen Verlautbarungen ist aber ja oft das, was zwischen den Zeilen steht. Oder eben nicht. Der zum HUX-Bereichsleiter ernannte VW-Manager Matthias Erb zum Beispiel war neben einer ganzen Zahl von Stationen im großen Konzernreich von 2008 an auch einige Jahre lang „Büroleiter des damaligen Aufsichtsratsvorsitzenden der Volkswagen AG in Salzburg“. Der ist heute im VW-Konzern ein Mann ohne Namen. Jedenfalls in Pressemitteilungen. Irgendwann werden sie die Bilder des ehemals Gottgleichen mit dem eisigen Blick und der tonlosen Stimme aus den Firmenchroniken retuschieren. Wie weiland in Moskau und Peking. Ebenso bizarr war nur, wie man Ferdinand Piech damals bei Volkswagen Hof halten ließ.

Nehmen wir Herrn Müller

Nochmals VW. Das ist ein Megakonzern, bei dem sich eine schwer reiche Familie und das Bundesland Niedersachsen die Hand reichen. Kapitalismus pur. Staatsdirigismus pur. Eine Hand wäscht die andere. Herr Müller hat seine Schuldigkeit getan, Herr Müller kann gehen. Zur Erinnerung: Matthias Müller saß bei der VW-Tochter Porsche im richtigen Sattel. Er ist ein Autofreak, motorsportaffin. Hemdsärmelig. Bei einem vergleichsweise kleinen Sportwagen-Hersteller legt man nicht jedes Wort auf die Goldwaage. Dann kam die Diesel-Affäre. VW-Chef Winterkorn musste gehen. Müller wurde von der Eignerfamilie förmlich gezwungen, das Paradies in Zuffenhausen zu verlassen. Gerade mal zweieinhalb Jahre ist das her. Ein Mann des Vertrauens sollte VW retten. Das ist Müller gelungen. Dabei blieb Müller Müller. Sein skeptischer Blick auf die Politik, sein loses Mundwerk und vielleicht auch sein indiskretes Privatleben wurden jetzt zu seinem Verhängnis. Die neue SPD mit Blassbürokraten à la Niedersachsens Weil an der Spitze setzt auf Figuren aus dem politischen Windkanal. Die Familie nickte ab. Die Politik ist so wichtig für VW, dass man ihr ab und zu einen Stich gönnen muss. Das Hemd ist einem halt doch näher als ein Herr Müller.

Nehmen wir den Schiffsdiesel

Ferdinand Piech konstruierte sich ein Hochsee-Yacht, obwohl er seekrank wurde. Diesel-Deutschland schafft sich ab, obwohl die modernen Selbstzünder die effizientesten Verbrennungsmaschinen sind, die es je gab. Sachliche Gegenrede ist zwecklos.  Die Masterarbeit eines fleißigen Studenten scheint jetzt zu belegen, dass man links und rechts des Rheins in allen Städten Diesel-Fahrverbote verhängen könnte, ohne dass sich an der Luftqualität etwas ändern würde. Weil ja auf dem Fluss die vielen schwer beladenen Schiffe fahren, die Millionen Tonnen von Gütern und Waren stromaufwärts und stromabwärts transportieren. Binnenschiffe fahren mit Diesel. Und die großen Kähne, die von Bremerhaven und Hamburg nach Valparaiso, nach Wladiwostok, nach Shanghai oder nach Sidney fahren, verbrennen Schweröl und sorgen nicht nur auf hoher See für dicke Luft. Das wäre doch mal was Neues: Schiffs-Fahrverbote auf Rhein, Main, Donau und Nord-Ostsee-Kanal. Und im Hamburger Hafen. Herr Resch, übernehmen Sie!

Nehmen wir das Sperrgebiet

Nach dem Super-GAU, haben wir einst gelernt, geht im Sperrgebiet nichts mehr. Nie mehr. Für viele tausend Jahre. Wir glauben das. Radioaktivität ist kein Witz. In Tschernobyl zum Beispiel haben sich in Windeseile seltene Tier- und Pflanzenarten angesiedelt. Die Natur ist schnell. Im Frühjahr 1986 explodierte nur Block 4 des Atomkraftwerks, Block 1 und 2 liefen bis 1993 weiter. Block 3 sogar bis Ende 2000. Viele tausend Menschen strömen täglich ins Sperrgebiet, mittlerweile gibt es sogar Touristenvisa. Auch die Japaner sind furchtlose Sperrgebietler. Nissan siedelt jetzt in der Nähe von Fukushima eine Fabrik für Batterierecycling an. Das klingt verrückt, aber die Nissan-Leute sind in allererster Linie natürlich Geschäftsleute. Die Gegend ist wieder sicher, sagt die japanische Regierung. Dekontaminiert! Und subventioniert Ansiedlungen im ehemaligen Sperrgebiet. Das Atomkraftwerk Fukushima schmolz im Frühjahr 2011 nach einem Super-GAU. Frau Merkel stieg deshalb für Deutschland aus der Atomenergie aus, nachdem sie wenige Monate zuvor aus dem schon einmal erfolgten Ausstieg ausgestiegen war. Aber das ist eine andere Geschichte. In der Nähe von Fukushima, im ehemaligen Sperrgebiet, recycelt jetzt die Firma 4R Energy (Nissan-Joint-Venture mit Sumitomo) verbrauchte Fahrbatterien des Elektroautos Nissan Leaf. Die Recyclingbatterien sollen viel billiger sein als neue Akkus. Das soll den Leuten die Scheu vor dem Elektroauto nehmen, dem ja bekanntlich die Zukunft gehört.

Unser Bild: Die blaue Insel im Landwehrkanal ist die Versuchsanstalt für Wasserbau und Schifffahrt in Berlin-Tiergarten. Der geschlossene Strömungsumlaufkanal heißt im Volksmund rosa Röhre. Das Gebäude ist knapp 31 Meter hoch, die Rohrschleife hat eine Länge von 120 Metern und fasst 3300 Tonnen Wasser. Der 1974 fertiggestellte Bau ist ein Entwurf des Architekten Ludwig Leo und steht mittlerweile unter Denkmalschutz. Oberhalb des Tiergartenufers mit den Hausbooten verläuft die Straße des 17. Juni zwischen Charlottenburger Tor und Siegessäule. Foto: motorfuture

 

Hugo von Bitz