Leipzig muss es richten

Der 22. Februar ist ein Schicksalstag für den Diesel – Bundesverwaltungsgericht zum Thema Luftreinhaltung – EU-Kommission setzt Fristen

Die kommenden 14 Tage werden für die Frage der notwenigen Maßnahmen zur Luftreinhaltung in Deutschland und weiteren acht EU-Ländern von weitreichender Bedeutung sein. Der zuständige EU-Umweltkommissar Karmenu Vella (Malta) hat den neun Ländern eine Frist bis Ende nächster Woche gesetzt. Bis dahin sollen konkrete Vorschläge zur Verbesserung der Luftqualität in Städten unterbreitet werden. Bei fehlender Plausibilität droht die Kommission mit einer Klage wegen Nichteinhaltung Europäischen Rechts vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH).

Und das kann teuer werden.

In einem aktuellen Schreiben versucht die geschäftsführende Bundesregierung mit neuen Vorschlägen, die EU-Kommission zu besänftigen. Unter anderem wird angeboten, die Einführung des kostenlosen öffentlichen Nahverkehrs in Deutschland konkret zu prüfen.

Ergebnis offen.

Die Deutsche Umwelthilfe klagt und klagt und klagt

Mehreren Bundesländern und Gemeinden in Deutschland droht weiteres Ungemach: Am 22. Februar wird sich das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) in Leipzig in letzter Instanz mit den Klagen der Deutschen Umwelthilfe (DHU) gegen mehrere öffentliche Körperschaften wegen Versäumnissen bei der Luftreinhaltung befassen.

Zuvor waren die Streitigkeiten bei den Verwaltungsgerichten (VG) anhängig.

So hatte im vergangenen Jahr das VG Schleswig (3 A 26/17 ff.) in erster Instanz über fünf Verfahren der Deutschen Umwelthilfe gegen das Kraftfahrtbundesamt (KBA) mit Sitz in Flensburg zu entscheiden. Klagegrund des Umweltvereins: Das Vorgehen des KBA gegen den Betrieb von Abschalteinrichtungen für die Abgasreinigung in Dieselfahrzeugen (Opel, VW) sei unzureichend. Die Schleswiger Richter wiesen die Klagen des Umweltvereins jedoch als unzulässig zurück. Der Umweltverband sei für Typengenehmigungen nicht klagebefugt. Eine derartige Befugnis sei weder aus dem Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz (UmwRG) noch aus dem einschlägigen Europa- oder Völkerrecht abzuleiten.

Das VG Düsseldorf entschied Ende Januar (24. 1.2018) in der Klage der DUH gegen die Stadt Düsseldorf  ähnlich. Die Klage sei unzulässig. Die DHU könne die gewünschte Stilllegung der Fahrzeuge mit dem VW-Aggregat EA 189 EU5 nicht fordern. Die Klage sei auch unbegründet. (Das KBA hatte in dem konkreten Fall angeordnet, dass die entsprechende Software auszuwechseln sei, worauf VW eine Rückrufaktion veranlasst hatte.) Das Gericht stellte in diesem Zusammenhang fest, dass zur Klagebefugnis erforderlich sei, dass die Verletzung in eigenen Rechten vorgetragen würde. Daran fehle es, wenn die Klägerin Verstöße gegen objektiv-rechtliche Vorschriften rüge. Das Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz, das Umweltorganisationen bei Verstößen gegen Umweltrecht eine Klagebefugnis durch eine Verbandsklage einräume, sei nicht anwendbar, weil es abschließend aufführe, gegen welche Entscheidungen geklagt werden könne. Dazu gehöre die straßenverkehrsrechtliche Zulassung nicht. 

Das VG Stuttgart wiederum räumte am 26. Juli vergangenen Jahres der DUH in einer Klage gegen das Land Baden-Württemberg die Klagebefugnis und einen Anspruch nach § 47 I S. 1 Bundesimmissionsschutzgesetz (BImSchG) auf Fortschreibung des Luftreinhalteplanes Stuttgart ein. Der Umweltverein hatte in seiner Klage konkrete Maßnahmen gefordert, die zu einer schnellstmöglichen Einhaltung der überschrittenen Immissionsgrenzwerte für NO2 in der Umweltzone Stuttgart führen. Im Hinblick auf das Verursacherprinzip (welcher Emittent ist wofür ursächlich?), Verhältnismäßigkeit der vorgeschlagenen Maßnahme (NO2-Reduktion durch zusätzliche Verkehrsverbote) und Erreichbarkeit in einem absehbaren Zeitraum verurteilte das Gericht das Land zu einer Fortschreibung des Luftreinhalteplans für Stuttgart.

Auch dieser Rechtsstreit liegt nach der Revision durch die grün-schwarze Landesregierung jetzt vor dem Bundesverwaltungsgericht. Ob die Bundesrichter den Einwendungen des Landes folgen, ist offen.

Die Rechtsprechung des EuGH

Bereits 2008 hatte sich der Europäische Gerichtshof mit der Überschreitung der Grenzwerte für Feinstaubpartikel befasst und entschieden, dass unmittelbar Betroffene bei den zuständigen Stellen die Erstellung eines Aktionsplanes zur Luftreinhaltung erwirken können. Geklagt hatte ein Anlieger der Landshuter Allee in München, in der die Immissionsgrenzwerte oft überschritten wurden. Das VG München wies seine Klage ab, der Verwaltungsgerichtshof Bayern (VGH) gab ihm Recht, das Bundesverwaltungsgericht legte dem EuGH die Sache mit der Frage vor, ob ein Einzelner Betroffener nach Gemeinschaftsrecht einen derartigen Anspruch geltend machen könne.

Dies bejahte der EuGH (C 237/07): Einzelne können danach verlangen, dass die Behörde Maßnahmen ergreift, um die Überschreitung der Grenzwerte auf ein Minimum zu verringern.

Das Gemeinschaftsrecht schreibt seit der Richtlinie von 1996 über die Beurteilung und die Kontrolle der Luftqualität vor, dass die Mitgliedsstaaten Luftreinhalte- und Aktionspläne aufstellen, in denen Maßnahmen zur grundsätzlichen Einhaltung der Grenzwerte von Schadstoffbelastungen aufgeführt und getroffen werden.

2013 entschied das BVerwG (7 C 21/12), dass das deutsche Recht „europakonform“ ausgelegt werden müsse und Umweltverbände Luftreinhaltepläne gerichtlich überprüfen lassen könnten.

Das deutsche Recht ist früh der EU-Richtlinie von 1996 mit dem Bundesimmissionsschutzgesetz (BImschG) gefolgt. Es schreibt in § 47 vor, dass Luftreinhaltepläne aufzustellen sind, wenn die Grenzwerte nach § 48a BImschG überschritten sind. In einer dazu ergangenen Verordnung werden Messverfahren, Zielwerte, Immissionsgrenzwerte und Alarmschwellen sowie Höchstmengen für bestimmte Luftschadstoffe festgelegt (Schwefeldioxid, Stickstoffdioxid, Feinstaub, Blei, Benzol, Kohlenmonoxid). Für emissionsarme Kraftfahrzeuge wurden Umweltzonen eingerichtet.

Seit 2008 ist also anerkannt, dass Betroffene die Einhaltung von Feinstaubgrenzwerten erwirken können. Dies gelte auch dort wo bisher aus dem Luftreinhalteplan noch kein Aktionsplan abgeleitet worden sei. Der Bayerische VGH (22 C 16.1427) hat den Freistaat rechtskräftig zur Vorlage eines Luftreinhalteplanes samt Konzept für Dieselfahrverbote verpflichtet, um gegen die Überschreitung von Stickoxidgrenzwerten vorzugehen.

In München hat die DHU daraufhin versucht, die CSU-Umweltministerin anschließend in Beugehaft zu nehmen, weil sie das Urteil nicht befolgt habe. Das Verwaltungsgericht erließ aber lediglich ein Zwangsgeld von 4000 Euro gegen das Land. Dieses Urteil gilt aber nur für den Münchner Fall.

Grundsatzurteil am 22. Februar

Das Bundesgericht muss am 22. Februar in seiner Entscheidung unter anderem zu dem Stuttgarter Fall feststellen, ob hier die Klagebefugnis besteht und abwägen, inwieweit der Kampf der DUH gegen den Diesel aus ökologischer Sicht tatsächlich begründet ist. Dafür ist zunächst die Frage der Kausalität zu prüfen: In welchem Maße ist NO2 verkehrsbedingt? Kann es bestimmten Fahrzeugtypen ganz ursächlich zugeordnet werden?

Fakt ist: Die NOx-Gesamtbelastung ist in Deutschland seit 1990 um 1,7 Millionen Tonnen (minus 60 Prozent) zurückgegangen. Fakt ist ebenfalls: Die Maximale Arbeitsplatz-Konzentration NO2 ist um den Faktor 20 höher als die erlaubten Grenzwerte an den Messpunkten im Freien. Und Fakt ist schließlich: Im Hinblick auf den Klimakiller CO2 ist der effiziente und deshalb sparsame Diesel umweltfreundlich.

Dürfen die Behörden vor diesem Hintergrund Fahrverbote aussprechen? Für den kommenden Donnerstag wird zu dieser zentralen Frage eine höchstrichterliche Entscheidung erwartet.

Diesel vor dem Aus?

Im Klartext: Argumentieren die Richter in Leipzig pro Deutsche Umwelthilfe, kann das für die Besitzer von Diesel-Fahrzeugen unterhalb der Euro-6-Norm Fahrverbote in vielen Städten bedeuten. Zur Erinnerung: Die Euro-6-Norm gilt für Neuzulassungen erst seit dem vergangenen Jahr verbindlich. Von Fahrverboten bedroht sind also auch relativ neue Autos mit Dieselmotor, ihr Wertverfall wäre vermutlich dramatisch – für die Besitzer und nicht zuletzt den Kfz-Handel ein bedrohliches Szenario.

Prognose

Ob die Feststellung, dass ein Dieselverbot dem Klimaschutz schadet, bejaht wird, ist mehr oder weniger eine Glaubensfrage. Fakt ist aber auch: Einen einzelnen Luftschadstoff als Gesundheitsrisiko zu überführen, ist immer sehr schwer und bisher nicht gelungen.

Für eine differenzierte Betrachtung ist auch wichtig festzustellen, dass der Diesel wohl den größten Anteil an Stickoxiden im Straßenverkehr verursacht, aber weitere Emittenten bei der Verbrennung fossiler Energieträger erhebliche Mengen abgeben (Kraftwerke, Hausheizung, Landwirtschaft).

Hinzu kommt: Die Luftverschmutzung durch Diesel-Abgase ist im letzten Jahr weiter zurückgegangen. Die Luft in den deutschen Städten ist sauberer geworden, wie die Messstationen belegen. Und der im Diesel-Gipfel vereinbarte Eine-Milliarde-Euro-Fonds stellt Mittel für Sofortmaßnahmen zur Verfügung (kommunale Ebene, Soft- und Hardware-Updates an der Bestandsflotte), die jetzt schnell umgesetzt werden müssten, fordert das Umwelt-Bundesamt (UBA). Auch das ist zu berücksichtigen.

Verbandsklagerecht auf dem Prüfstand

Unabhängig davon, wie die Leipziger Richter am kommenden Donnerstag entscheiden: Die Verbandsklage soll in der laufenden Legislatur auf den Prüfstand kommen. Union und SPD, heißt es in der Koalitionsvereinbarung, wollen „auf der Grundlage europäischen Rechts das Verbandsklagerecht in seiner Reichweite überprüfen.“

Gut möglich, dass die Deutsche Umwelthilfe den Bogen einfach überspannt hat.

 

Der Autor: Dietrich Austermann ist Jurist und CDU-Politiker. Von 1982 bis 2005 war er Mitglied im Deutschen Bundestag, von 2005 bis 2008 gehörte er der Landesregierung Schleswig-Holstein als Minister für Wissenschaft, Wirtschaft und Verkehr an.

 

Dietrich Austermann