Im Namen des Volkes

Emissionsgrenzwerte, Zulassungsbestimmungen, Kennzeichnungsrichtlinien, Artenschutz – das Verbandsklagerecht macht Vereine wie die Deutsche Umwelthilfe (DUH) im Prinzip zu juristischen Volksvertretern.

Jeder Bürger, der geltend macht, durch staatliches Handeln (Verwaltungsakt) in seinen eigenen Rechten verletzt zu sein (§ 42 II Verwaltungsgerichtsordnung), kann Rechtsschutz in Anspruch nehmen. Gegen eine Behördenentscheidung ist zunächst der Widerspruch bei der Verwaltung und gegen den Widerspruchsbescheid die Klage vor dem Verwaltungsgericht zulässig.

Der Bürger muss geltend machen, in seinen Rechten verletzt zu sein. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn man durch einen Verwaltungsakt im Eigentum oder in der Gesundheit beeinträchtigt wurde. Er/Sie kann die Entscheidung anfechten, die Behörde zu etwas verpflichten oder eine Feststellung begehren.

Verbandsklage, Popularklage

Bei der Verbandsklage, einer Popularklage, die über das übliche prozessuale Rechtsschutzbedürfnis einer Einzelperson hinausgeht, bekommen Verbände die Klagebefugnis, weil sie Rechte der Allgemeinheit (Verstoß gegen Naturschutz, Umweltschutz, Gleichstellung Behinderter, Tierschutz, Verbraucherschutz) geltend machen.

Die Entstehungsgeschichte der Verbandsklage reicht weit zurück. Der Spiegel berichtete bereits 1981 über den brüchigen Bonner Koalitionsfrieden (SPD/FDP), weil Vizekanzler und Außenminister Hans-Dietrich Genscher (FDP) im Bundestag das von den Umweltschutz-Verbänden geforderte Verbandsklagerecht unangekündigt unterstützt hatte.

Die Verbandsklage wurde nach und nach in einzelnen Bundesländern und schließlich 2002 im Bund eingeführt. Politisch gab es erheblichen Widerstand bis heute, da das Verbandsklagerecht als wesentliches Hindernis dafür angesehen wird, dass in Deutschland der Ausbau und die Verbesserung der Infrastruktur nicht vorankommt. Der Schutz der Fledermaus, des Schierlings-Wasserfenchels, des Wachtelkönigs, der Haselmaus, des Schlammpeitzgers oder des Juchtenkäfers führte zu Klagen gegen die Autobahn A20, den Ausbau des Frankfurter Flughafens, die Elbvertiefung, das Bahnprojekt Stuttgart 21 und anderer Infrastrukturprojekte.

Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz

Rechtsgrundlage ist das Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz (UmwRG), das in § 2 schreibt:

„Eine nach § 3 anerkannte inländische oder ausländische Vereinigung kann, ohne Verletzung in eigenen Rechten gelten machen zu müssen, Rechtsbehelfe .. gegen eine Entscheidung  nach §1I oder deren Unterlassen einlegen, wenn die Vereinigung

  1.  geltend macht, dass eine Entscheidung nach § 1 Abs. 1 Satz 1 oder deren Unterlassen Rechtsvorschriften, die für die Entscheidung von Bedeutung sein können, widerspricht,
  2.  geltend macht, in ihrem satzungsgemäßen Aufgabenbereich der Förderung der Ziele des Umweltschutzes durch die Entscheidung nach § 1 Abs. 1 Satz 1 oder deren Unterlassen berührt zu sein…“

Rund 50 Verbände mit Verbandsklagerecht

Anerkannt nach § 3 sind derzeit 106 Verbände in Deutschland (Stand November 2017). Unter anderem große und traditionsreiche Vereinsorganisationen wie der Deutsche Alpenverein oder der Deutsche Tierschutzbund, aber auch kleine Vereine wie die Deutsche Umwelthilfe (DUH) mit nur wenigen Mitgliedern oder regionale Interessensvertretungen wie der Umweltstammtisch Ketsch. Das Umwelt-Bundesamt (UBA) listet die nichtstaatlichen Organisationen mit Verbandsklagerecht.

Zuständig: Umwelt-Bundesamt und Länder

Die Zuständigkeit zur Anerkennung von Umwelt- und Naturschutzvereinigungen ist zwischen dem Bund und den Ländern aufgeteilt. Das UBA ist zuständig für die Anerkennung inländischer Vereinigungen, die über ein Bundesland hinaus tätig sind, und für ausländische Vereinigungen. Die Landesbehörden sprechen die Anerkennung für inländische Vereinigungen aus, die nur innerhalb eines Bundeslandes tätig sind.

Rechtsanspruch auf Anerkennung: Die Regeln

Für die Erteilung des Verbandsklagerechts gelten eine Reihe von Voraussetzungen, die das Umwelt-Bundesamt so zusammen fasst:

„Das Verbandsklagerecht in Deutschland können nur Vereinigungen nutzen, die gemäß § 3 UmwRG zum Zeitpunkt der Klageeinlegung anerkannt sind. Die Voraussetzungen, die für die Anerkennung als Umweltvereinigung erfüllt werden müssen, regelt § 3 Absatz 1 UmwRG. Erfüllt eine Vereinigung diese Voraussetzungen, besteht ein Rechtsanspruch auf Anerkennung. Im Einzelnen muss die Vereinigung:

  1. nach ihrer Satzung ideell und nicht nur vorübergehend vorwiegend die Ziele des Umweltschutzes fördern,
  2. im Zeitraum der Anerkennung mindestens drei Jahre bestehen und in diesem Zeitraum zur Förderung des Umweltschutzes tätig geworden sein,
  3. die Gewähr für eine sachgerechte Aufgabenerfüllung bieten,
  4. gemeinnützige Zwecke verfolgen und
  5. jeder Person, die die Ziele der Vereinigung unterstützt, den Eintritt als Mitglied ermöglichen. Bei Dachorganisationen, deren Mitgliederkreis zu mindestens drei Vierteln aus juristischen Personen besteht, muss diese Voraussetzung nicht erfüllt sein, sofern die Mehrzahl dieser juristischen Personen binnendemokratisch organisiert ist.“

Rücknahme des Verbandsklagerechts: Nicht ausdrücklich geregelt

Zur Möglichkeit der Rücknahme der Anerkennung hat die Landesregierung des Freistaats Sachsen auf eine Anfrage im Sächsischen Landtag ausgeführt: Die Rücknahme ist nicht ausdrücklich gesetzlich geregelt. Sie richtet sich nach den Vorschriften der §§ 48, 49 des Verwaltungsverfahrensgesetzes. Es regelt die Rücknahme von rechtswidrigen und rechtmäßigen Verwaltungsakten (zum Beispiel.: Eintragung in die Verbände-Liste). Voraussetzung ist, dass zum Beispiel unrichtige Angaben bei Antragstellung gemacht wurden, getäuscht wurde usw. oder, bei rechtmäßigem Verwaltungsakt, wenn das öffentliche Interesse gefährdet würde.

Die Rücknahme des Verbandsklagerechts könnte auch bei Missbrauch der Befugnis, bei sittenwidrigem Vorgehen und bei ‚venire contra factum proprium‘ (gegen vorangegangenes Tun) möglich sein. Präzedenzfälle sind bislang nicht bekannt.

 

Der Autor: Dietrich Austermann ist Jurist. Von 1982 bis 2005 vertrat er den Wahlkreis Steinburg – Dithmarschen-Süd für die CDU im Deutschen Bundestag. Von 2005 bis 2008 gehörte er der Landesregierung Schleswig-Holstein als Minister für Wissenschaft, Wirtschaft und Verkehr an.

Dietrich Austermann