Stadt der Zukunft statt Stadtverkehr der Gegenwart

„Nachhaltige Städte brauchen smarte Produkte.“ Das Motto klingt einleuchtend. Aber die Problemlage ist komplex. Impressionen vom Nachhaltigkeitstag der Deutschen Bahn.

Aller Anfang ist leicht im Berlin des Jahres 2018. Man akkreditiert sich für den Nachhaltigkeitstag der Deutschen Bahn. Der findet in Berlin-Mitte statt, im Humboldt-Carré, Ecke Behren-, Charlottenstraße. Zentraler geht es nicht in der Hauptstadt, die als einzige echte Metropole Deutschlands in einer Liga mit Paris, London, New York City spielt. Jedenfalls von der Größe her. Man nimmt das Auto, weil man etwas außerhalb Quartier bezogen hat. Wenig Verkehr gegen zehn Uhr morgens. Von der Leipziger rein in die Charlottenstraße, ein paar Kreuzungen hoch, bloß kein Stress. Die positiven Erwartungen werden auch dieses Mal nicht enttäuscht. Der freie Parkplatz für den großen Wagen wartet am Straßenrand wenige Meter vom Tagungslokal entfernt.

Verkehrschaos? Nicht in Berlin an einem Wochentag Anfang März.

Drinnen im Saal ist das ein akademisches Thema. Viele der Teilnehmer haben sich direkt vor der Tür absetzen lassen, vom Taximann oder vom persönlichen Fahrer, je nach Funktion und Ausstattung. Und den Vertretern der Bundestagsfraktionen steht rund um die Uhr der Fahrdienst des Bundestages zur Verfügung. 

„Nachhaltige Städte brauchen smarte Produkte“

Drinnen im Saal wird die Zukunft der Stadt diskutiert. „Nachhaltige Städte brauchen smarte Produkte.“ Das ist das Motto des Nachhaltigkeitstags der Deutschen Bahn. Er findet in diesem Jahr zum sechsten Mal statt. Die Bahn hat sich das Thema auf die Fahnen geschrieben. Das ist, so banal es klingen mag, eine gute Idee. Die Bahn ist das Infrastrukturunternehmen des Bundes. Der Nachhaltigkeitstag „ist die wichtigste Plattform für den Austausch des Unternehmens mit seinen Partnern aus Politik, Industrie, der Mitarbeiterschaft, von Investoren, Lieferanten und Kunden“, erläutert die Presseabteilung. 220 Partnervertreter – neudeutsch Stakeholder – sind gekommen. Die Stakeholder der Bahn: Das ist die Politik, das ist die Wirtschaft, das sind Gewerkschaften, Verbände, Vereine, Kirchen.

„Es geht um die Zukunft in lebenswerten Städten“, sagt Bahn-Chef Richard Lutz. „Gemeinsam mit unseren Stakeholdern wollen wir Ideen weiterentwickeln, um die Lebensqualität der Bewohner zu erhöhen und bequeme, bezahlbare und gleichzeitig umweltfreundliche Lösungen zu bieten.“ Und: „Wir sind als Partner prädestiniert, weil wir umfassend über alle Verkehrsträger hinweg denken und auf deren intelligente Verknüpfung zielen.“

Die smarte Stadt, das unbekanntes Wesen

Die smarte Stadt ist allerdings ein noch weithin unbekanntes Wesen. Die aktuelle Diskussion um eine radikale Reform des Öffentlichen Personennahverkehrs belegt es. Die Idee, der Attraktivität von Bussen und Bahnen den  Nulltarif-Turbo einzubauen, wurde aus dem Stand mit emotionalen Totschlagargumenten zerpflückt. Ist nicht finanzierbar… Was nichts kostet, taugt nichts… Die Öffis sind schon heute überlastet… Kurz: geht nicht! Dass man so betrachtet auch das Schulgeld wieder einführen müsste, zeigt die Phantasielosigkeit der politischen Diskussion. Sobald es schwierig wird, ist die Verteidigung des Status quo die sicherste Position.

Stadt der Zukunft statt Stadtverkehr der Gegenwart? Die kommunalen Entscheidungsträger vor Ort kämpfen mit einer ähnlichen Diskussionkultur.

Darmstadt, London…

„Bei der Verbesserung der Radwege-Infrastruktur kämpfen die Anwohner um jede 100 Meter Straße“, sagt Oberbürgermeister Jochen Partsch (Bündnis 90/Die Grünen) aus Darmstadt. „Und ich kann die Leute sogar verstehen: Es geht schließlich um ihre Parkplätze.“ Darmstadt durchlebt als Hochschule- und Wirtschaftsstandort eine stürmischen Entwicklung: 160.000 Einwohner, 130.000 Arbeitsplätze, 100.000 Pendler, 45.000 Studierende. Und die Einwohnerzahl soll bis 2035 auf 184.000 wachsen. OB Partsch hat vor diesem Hintergrund die Verkehrspolitik als zentrale Zukunftsaufgabe definiert. Projekte wie „Smart Traffic“ (Echtzeitdaten für Autofahrer) oder „Digitales Schaufenster“ (Stadt und Einzelhandel kooperieren bei der Belieferung von Kunden mit Elektro-Lastenrädern) sollen den Verkehr in Darmstadt langfristig beruhigen. „Die zentrale Frage ist: Wie fundamental verändert die Digitalisierung unser Leben“, sagt Partsch. Und warnt vor Zwang: „Die Umsetzung von Politik funktioniert vor allem auf der Basis Interessenausgleich.“

„Eine neue Verkehrspolitik steht und fällt mit dem Thema Datenaustausch“, sagt Stephen Lorimer von der Greater London Authority. Der Smart London Plan baut auf die umfassende Erfassung und Verteilung von Verkehrsdaten. Öffentlicher und privater Verkehr soll die jeweils aktuelle Verkehrssituation abbilden und gleichzeitig von der Verkehrslenkung und -leitung profitieren. Wie komplex die Umsetzung zukunftsfähiger Verkehrslösungen ist, zeigt aber gerade das Beispiel der britischen Metropole. „Der Großraum London ist in 33 unabhängige Städte zergliedert“, sagt Lorimer. „Und all‘ diese Städte haben ein gemeinsames Problem – sie haben zuwenig Geld.“ 

Der Hinweis, dass die urbane Mobilität der Zukunft nicht zuletzt auch hochkomplexe verwaltungstechnische Facetten hat, ist naheliegend.  Es kann dennoch nicht schaden, wenn die Praktiker den Theoretikern diesen Aspekt immer wieder ins Stammbuch schreiben. Egal, ob sie aus Darmstadt oder aus London kommen.

…Kopenhagen: Mutige Politiker für eine nachhaltige Politik

Klaus Bondam aus Kopenhagen bestätigt das Diskussionsbedürfnis demokratischer Bürgergesellschaften. Der Vorsitzende des Fahrradverbunds Kopenhagen sagt aber auch: „Wir brauchen mutige Politiker, die eine nachhaltige Politik umsetzen.“ Übersetzt für die dänische Hauptstadt heißt das: Absolute Priorität für den Ausbau der Fahrrad-Infrastruktur. Der Neubau und Ausbau von Radwegen sowie die Vernetzung und der Zusammenschluss zu einem funktionstüchtigen und sicheren Radwegenetz sind in Kopenhagen kommunalpolitisches Programm. Knapp 50 Prozent des innerstädtischen Verkehrs entfallen bereits auf die Teilmengen Fußgänger, Radfahrer und Öffentlicher Personennahverkehr, „unsere Zielsetzung bis 2025 sind 75 Prozent“ (Bondam). Dazu brauche man „Verständnis für die Fahrradökonomie“, Geduld und nicht zuletzt öffentliche Investitionen. „Wir haben in den vergangenen Jahren ein echtes Konjunkturprogramm für die Straßenmarkierungsbranche aufgelegt“, sagt Bondam in Anspielung auf die Kopenhagener Politik, das Straßennetz der Stadt konsequent zu Gunsten des Fahrrads umzuwidmen.

 

Oskar Weber