In grauer Vorzeit verkaufte die Werbung noch Fantasie und Fabeln. Heutzutage ist Benzin einfach nur teuer.
„Einfach günstig tanken.“ Die Spritspezialisten von Jet sorgen dafür, dass der Treibstoff an ihren Tankstellen immer ein paar Cent billiger ist als bei der Konkurrenz. Das ist ein freundlicher Einstieg in ein unerfreuliches Thema. Denn Benzin und Diesel sind teuer wie nie zuvor in Deutschland.
In grauer Vorzeit verkaufte die Werbung noch Fantasie und Fabeln. Esso zum Beispiel versprach den Tiger im Tank. Die kraftvolle Großkatze symbolisierte Extrapower aus der Esso-Zapfsäule. Die Hoffnung auf ein bisschen mehr Leistung war grenzenlos in den Zeiten der Massenmotorisierung. Die Kleinwagen hechelten mit 30 PS über die schlechten Straßen, und die Mittelklasse war mit 75 PS schon gut motorisiert. Der Liter Superbenzin kostete 70 Pfennig einer starken Mark, umgerechnet etwas mehr als 35 Eurocent. Das ist jetzt 50 Jahre her. Nein, Benzin war auch damals nicht im Sonderangebot. Der Durchschnittsverdienst betrug mit umgerechnet 700 Euro etwa ein Sechstel des aktuellen statistischen Werts. Sechs mal 35 macht 210 Cent, also 2,10 Euro.
Wenn das kein Zufall ist.
Nein, das Leben war damals nicht besser, es war anders. Langsamer war es, viel langsamer und in den Siebzigern endlich auch cooler. Aber vielleicht ist das nur Erinnerungsoptimismus.
Krieg gab es auch damals. Die Amerikaner bombten in Vietnam, die Russen in Afghanistan, und zwischen dem Westen und dem Osten hing waffenstarrend der Eiserne Vorhang. Die Deutschen hatten sich diesseits und jenseits der Demarkationslinie in ihrer jeweiligen Behaglichkeit eingerichtet, und während die DDR-Bürger 15 Jahre auf ihren Trabbi warteten, jammerten die Leute im Westen über den Benzinpreis.
Die persönliche Perspektive ist immer auch eine Frage der Möglichkeiten.
Die erste Ölkrise als Folge komplexer geopolitischer Verwerfungen trieb den Benzinpreis 1974 auf umgerechnet 45 Cent, das war eine Steigerung um 30 Prozent. Rohöl war knapp, die Regierung Brandt machte Symbolpolitik: Sonntagsfahrverbote. Das traf vor allem die Sonntagsfahrer, die es damals noch gab. Leute, die ihr Auto unter der Woche stehen ließen, um das wertvolle Blech zu schonen und teures Benzin zu sparen. Man ging zu Fuß zur Arbeit oder nahm die Straßenbahn.
Es ging ums Geld, nicht um die Umwelt. Die Grünen wurden erst später erfunden.
Die Politik versuchte, die Bürger in Ruhe zu lassen, solange man nicht jung und männlich war. Eine Wehrpflicht für Frauen gab es nicht, Proteste wegen Geschlechterdiskriminierung auch nicht. Die jungen Männer zogen nach der Schule oder der Lehre in die Kasernen oder Altenheime, die jungen Frauen saßen in den Hörsälen oder verdienten gutes Geld.
Apropos Geld. Der Staat holte sich auch damals seine Steuern, aber er war zunächst nicht übergriffig. Die Abgaben auf Löhne und Einkommen waren angemessen, die Progression traf nur echte Spitzenverdiener, aber 1968 griff die erste Großen Koalition brutal in die Konsumbudgets der (West-)Deutschen: Die Mehrwertsteuer auf die meisten Waren und Dienstleistungen kam zunächst mit zehn, dann mit elf, 1978 schließlich mit zwölf Prozent. Und mit jedem weiteren Schritt optimierte der Fiskus seinen Schnitt: 13, 15, 16, 19 Prozent. Den Begriff Mehrwertsteuer darf man sich in diesem Zusammenhang einmal auf der Zunge zergehen lassen, denn selbst unverzichtbare Verbrauchsgüter des täglichen Lebens wie Mineralwasser, Brot oder Erbsensuppe haben einen – immerhin auf sieben Prozent reduzierten – „Mehrwert“. Die Kleinrentnerin, die im Supermarkt Grundnahrungsmittel für 18,69 Euro in den Einkaufswagen legt, führt an der Kasse auf diesen Betrag 1,31 Euro an den Staat ab. Macht dann 20 Euro.
So viel zum Thema „Mehrwert“-Steuer. Die Mehrwertsteuer ist auch ein zentrales Thema, wenn wir über die aktuelle Explosion der Spritpreise reden.
Der Tankstellenpreis eines Liters Ottokraftstoff der Sorte E 10 ist zum Beispiel Resultat folgender Zutaten:
Warenwert des Benzins: 1,08 Euro
+ Mineralölsteuer: 0,6545 Euro
+ CO2-Steuer: 0,084 Euro
+ Erdölbevorratungsabgabe: 0,0046 Euro
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= Nettopreis: 1,823 Euro
+ 19 % Mehrwertsteuer: 0,3464 Euro
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= 2,169 Euro (Literpreis E10 an der Tankstelle)
Vom aktuellen Brutto-Literpreis bleibt erstens also gerade mal die eine Hälfte beim Hersteller und seinem Tankstellenpächter, die andere Hälfte kassiert der Staat. Mit dem Warenwert steigt zweitens die Mehrwertsteuer, der Staat bereichert sich also an der Krise auf dem Rohstoffmarkt. Und schließlich drittens: Wer sich und seinem Kraftwagen an der Tanke 50 Liter E10 gönnt, überweist gleichzeitig 55 Euro an die Finanzkasse. Der Tiger im Tank ist so gesehen zum Steuereintreiber mutiert.
Fotos: motorfuture