Der Weg zum autonomen Fahren ist mit vielen Hürden gepflastert. Vor allem der Gesetzgeber sieht sich mit komplexen Fragestellungen konfrontiert, bei denen es immer auch um Leben und Tod gehen kann.
Die Fußgängerin war dunkel gekleidet, als sie ihr Fahrrad am späten Abend vor einem parkenden Auto auf die spärlich beleuchtete Straße schob. Es wird sich vielleicht nie klären lassen, warum sie den Volvo nicht bemerkte, der sich auf ihrer Straßenseite mit moderatem Tempo näherte. Sicher ist: Das im Volvo eingeteilte Fahrerpersonal – ein Autopilot der Firma Uber und eine zur Systemüberwachung hinter dem Lenkrad platzierte Testfahrerin – übersahen ihrerseits die unvorsichtige Fußgängerin. Mit tödlichen Folgen. Der Volvo erfasste die Frau ungebremst, das Opfer starb.
Der Tanz ums digitale Kalb
Klingt dramatisch. Ist es auch. Denn der tragische Unglücksfall zeigt, dass der Tanz ums digitale Kalb bislang vor allem auch ein gefährlicher Hype ist. Genährt wird die Illusion von einer allmächtigen Technik, die dem System Mensch haushoch überlegen sei. Und im Prinzip mag das ja auch stimmen. Aber die nähere Betrachtung führt zurück ins richtige Leben: Der Computer „denkt“ nur, was ihm die Programmierer zuvor eingebläut haben. Er ist sicherlich schnell und präzise – intelligent ist er nicht und schon gar nicht vernunftbegabt.
Vorsicht also vor Techniken, die noch nicht beherrschbar sind. Der Zauberlehrling ist zum Fürchten. Aber wie funktioniert eigentlich die Transformation technischer Innovationen in einen soliden gesetzlichen Rahmen?
Der Bundestag debattiert
Einmal im Jahr legt die Expertenkommission Forschung und Innovation (EFI) der Bundesregierung ein Gutachten zur Forschung, Innovation und technischer Leistungsfähigkeit Deutschlands vor. Das neue Gutachten stammt aus dem Februar 2018 und befasst sich unter anderem mit dem Thema „Autonome Systeme“. Die Bundesregierung wird dazu bis Ende Mai gegenüber dem Bundestag Stellung nehmen. Anschließend debattiert das Parlament in den beteiligten Ausschüssen in den folgenden Monaten die Konsequenzen.
Expertenkommission Forschung und Innovation
In der Koalitionsvereinbarung der neuen alten Bundesregierung aus CDU, CSU und SPD wird an mehreren Stellen die Zukunft der Mobilität erwähnt. Da ist von einer „Forschungs- und Innovationsstrategie ‚Mobilität‘“ die Rede; bis Anfang 2019 soll eine neue Kommission eine Strategie zur „Zukunft der bezahlbaren und nachhaltigen Mobilität“ vorlegen und es soll ein „Mobilitätsforschungsprogramm inklusive der Erforschung der autonomen Mobilität“ aufgelegt werden. Da hat das EFI wohl Pate gestanden für einzelne Formulierungen. Konkret heißt es: „Wir wollen einen Rechtsrahmen für das autonome Fahren schaffen, der Datenschutz und Datensicherheit ebenso gewährleistet wie ein Höchstmaß an Sicherheit.“ Und an anderer Stelle: „Damit autonome Fahrzeuge im öffentlichen Raum rechtssicher getestet und eingesetzt werden können, werden wir Experimentierklauseln bzw. Ausnahmeregelungen schaffen. Bis zum Ende der Legislaturperiode werden wir die rechtlichen Voraussetzungen für vollautonome Fahrzeuge (Stufe 5) auf geeigneten Infrastrukturen schaffen. Wir wollen die Haftungsregelungen beim Einsatz autonomer Systeme (z.B. selbstfahrende KfZ, Roboter) mit dem Ziel auf den Prüfstand stellen, um gegebenenfalls drohende Haftungslücken zu schließen.“
Wiener Übereinkommen macht den Weg frei
Aber welche konkreten Regelungen gibt es bisher?
Das Wiener Übereinkommen über den Straßenverkehr schreibt seit März 2016 nicht mehr zwingend vor, dass jedes Fahrzeug, das in Bewegung ist, einen Fahrzeugführer haben muss, der die jederzeitige Beherrschbarkeit gewährleistet. Damit ist der Weg frei für die Übernahme von immer mehr Fahraufgaben durch automatisierte Systeme. Die Verantwortung liegt dabei aber nach wie vor beim Fahrer, der gegebenenfalls eingreifen können muss.
Deutschland bewegt sich
Vollautomatisiertes Fahren ist in Deutschland bisher nicht zugelassen. Bundestag und Bundesrat haben jedoch im Frühjahr 2017 mit einer Änderung des Straßenverkehrsgesetzes einen ersten großen Schritt gemacht. Seit Juni 2017 kann ein Fahrer „hoch- oder vollautomatisierte Fahrfunktionen“ aktivieren, also dem technischen System in bestimmten Situationen die Fahrzeugsteuerung übergeben. Er muss aber gegebenenfalls eingreifen können. Und im Schadensfall soll eine Blackbox klären, ob System oder Fahrer versagt haben. Der Fahrer wird also noch nicht ersetzt. Der Computer muss unter bestimmten Umständen den Fahrer mit akustischen oder optischen Signalen auffordern, selbst zu fahren. Die gesetzliche Regelung greift damit teilweise der Koalitionsvereinbarung vor. Ende 2019 soll das neue Recht „auf wissenschaftlicher Grundlage“ evaluiert werden.
20 Leitlinien
Ebenfalls 2017 hat die vom damaligen Verkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) eingesetzte Ethikkommission ihre 20 Leitlinien für automatisierten und vernetzten Fahrzeugverkehr, den sie wegen der absehbaren Unfallminimierung ethisch begrüßten, vorgelegt. Darin wird dem Schutz des Menschen absoluter Vorrang eingeräumt, und in Bezug auf die Datenverarbeitung wird Transparenz, Selbstbestimmung und Datenschutz gefordert. Die Aussage, „Computer dürfen in Deutschland künftig Autos steuern“, gilt also zunächst nur eingeschränkt.
Wissenschaft und Politik unterscheiden die Stufen der Technologisierung mit unterschiedlichen Maßstäben. Die EFI nennt fünf Stufen. In Stufe 1 übernimmt der Auto-Computer einzelne Funktionen, in Stufe 2 (assistiertes Fahren) muss der Fahrer das System nur dauerhaft überwachen. In Stufe 3 (teil-/hochautomatisiert) muss der Fahrer in der Lage sein, jederzeit in den Fahrvorgang einzugreifen. In Stufe 4 (vollautomatisiert) ist kein fahrender Mensch im spezifischen Anwendungsfall erforderlich und in Stufe 5 ist von Start bis Ziel kein fahrender Mensch mehr erforderlich.
Deutsches Recht auf Level 4
Das deutsche Recht hat sich inzwischen auf den vierten Level hochgearbeitet. Mit diesem Schritt kann der Fahrer die Hände vom Lenkrad und die Füßen von den Pedalen nehmen. Der Bordcomputer übernimmt alle Funktionen, hält den Abstand ein, lenkt, bremst und beachtet eine Rettungsgasse. Der Fahrer kann derweil seine Mails checken oder telefonieren.
Als erster Deutscher Autobauer hat Audi inzwischen einen Autopiloten zur Serienreife gebracht, der bis Tempo 60 km/h die volle Verantwortung für den gesamten Fahrprozess übernimmt. Insoweit hinkt der Gesetzgeber noch hinterher. Bis heute dürfen Auto-Computer nur bis 10 km/h, also zum Einparken oder in abgetrennten Bereichen, selbsttätig agieren. Audi, Porsche und VW planen ab 2020 einen Pilotversuch für vollautomatisches Parken am Flughafen Hamburg. Der Fahrer stellt sein Auto an der Schranke ab, der Wagen sucht sich autonom einen Parkplatz. Bosch und Daimler haben das fahrerlose Parken im Parkhaus des Mercedes-Benz Museums in Stuttgart bereits realisiert. Per Smartphone-Befehl fahren Autos nun fahrerlos in den zugewiesenen Stellplatz, ohne dass der Fahrer das Manöver noch überwachen muss.
Scheuer am Start
Es ist zu hoffen, dass Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) bei der Gesetzesreform ab 2019 mehr Glück hat als sein Vorgänger Dobrindt, der mit seinen Versuchen, die Regelungen für autonomes Fahren der schnellen technologischen Entwicklung anzupassen, vom damaligen Justizminister gestoppt wurde. Der Verkehrsausschuss unter seinem Vorsitzenden Cem Özdemir (Bündnis 90/Die Grünen) wartet auf entsprechende Vorschläge der Regierung.
In der EU und weiteren rund 50 Staaten werden ebenfalls neue Regeln erwartet, die autonomes Fahren bis zur Richtgeschwindigkeit von 130 km/h gestatten.
Und die Haftungsfrage?
In Bezug auf die Haftung gelten übrigens weiterhin klare Regeln: Der Fahrer haftet mit dem Halter für das Fahrzeuggeschehen, er muss das Fahrzeug überwachen und jederzeit eingreifen können. Der Autobauer muss für Produktfehler eintreten. Folgerichtig hat sich Audi bereiterklärt, für seinen neuen Stau-Assistenten im neuen A8 zu haften, wenn der Gesetzgeber ihn denn zugelassen hat.
Vorreiter USA, Wunsch und Wirklichkeit
Anders ist die Situation in verschiedenen US-amerikanischen Staaten. In Kalifornien durften bisher 50 Firmen 300 selbstfahrenden Autos testen. Seit April können Prototypen ohne Pedalen und Lenkrad fahren, wenn die Fahrzeuge bestimmte Sicherheitsstandards erfüllen, über Funk überwacht werden und Daten aufzeichnen. Im November 2017 veröffentlichte die zum Google-Konzern gehörende Firma Waymo ein Video eines selbstfahrenden Autos im öffentlichen Straßenverkehr der Stadt Phoenix in Arizona/USA. Die Fahrgäste saßen auf der Rückbank, der Platz hinter dem Lenkrad war frei, und der Rechner lenkte selbständig. Das Unternehmen wollte damit belegen, dass Level 4 in der Praxis funktioniert.
Der eingangs geschilderte Unfall ereignete sich vor wenigen Wochen Ende März ebenfalls in den USA, in der Stadt Tempe im Bundesstaat Arizona. Das tragische Ergebnis – Fußgängerin unvorsichtig, Technik überfordert, Testfahrerin unaufmerksam, Opfer tot – ist ein deutlicher Fingerzeig auf den aktuellen Stand der Technik. Wunsch und Wirklichkeit klaffen beim autonomen Fahren noch weit auseinander.
Der Autor: Dietrich Austermann ist Jurist und CDU-Politiker. Von 1982 bis 2005 war er Mitglied im Deutschen Bundestag, von 2005 bis 2008 gehörte er der Landesregierung Schleswig-Holstein als Minister für Wissenschaft, Wirtschaft und Verkehr an.
Foto: motorfuture