Zukunft von gestern: Smart

Das Smart-Projekt war früh dran, sehr früh. Mittlerweile ist die Marke Kult. Und wird komplett neu aufgestellt.

Der Smart war ein Frühchen. Ohne die fürsorgliche Pflege eines gutsituierten Elternhauses hätte es der Kleine nie geschafft. Die Idee, ein 2,50-Meter-Auto für den wendigen Einsatz in der Großstadt zu bauen, war ihrer Zeit zu weit voraus. Die Autotester zählten noch die Zylinder und die Pferdchen unter der Motorhaube, als sich der Zweisitzer vor gut 20 Jahren unter die Leute wagte. Die Konkurrenz spottete über den „Elefantenrollschuh“ (Ferdinand Piech), und das Publikum war irritiert: Das soll ein Auto sein, ein Auto von Mercedes?

Der Stern blieb dem Zwerg zwar von Anfang an verwehrt. Aber die Macht und das Geld der feudalen Daimler-Familie päppelte den anfangs doch arg kränkelnden Winzling lange mit der betriebswirtschaftlichen Flasche der Querfinanzierung. Strategisch zahlte es sich schließlich aus, ein bisschen wenigstens, der Smart senkte immerhin den Flottenverbrauch der Daimler-Modellpalette.

Zudem ist das Wägelchen bezüglich seiner Kernkompetenzen Gewicht (leicht) und Einsatzzweck (Stadt) geradezu prädestiniert für den Elektroantrieb. Hilfreiche Zutaten für die Entscheidung, den Smart fortwo und die viersitzige Smart-Karikatur forfour mit Beginn des laufenden Jahres 2020 komplett und ausschließlich unter Strom zu setzen.

Künftig aus China

Ein Schritt mit Symbolkraft. Nach gut zwei Millionen Smarties, die seit 1998 unter dem Daimler-Dach produziert und verkauft wurden, wird das Projekt neu aufgestellt. Und zwar in China. Die Smart-Zukunft wird spannend, soviel ist klar. Denn selbstverständlich legt das Joint Venture, das die Marke künftig gemeinsam betreibt – die Mercedes-Benz AG und die Zhejiang Geely Holding Group (Geely Holding) – den Markenfokus auf die Elektromobilität.

Die Details sind auf Basis der offiziellen Unternehmensmitteilung schnell erzählt. Das eingetragene Kapital des Joint Ventures beträgt 5,4 Milliarden Renminbi, das entspricht rund 690 Millionen Euro. Beide Parteien bringen die gleiche Summe, „wobei der Anteil der Mercedes-Benz AG im Wesentlichen aus der Einbringung der Marke smart besteht“. Sitz des Joint Ventures ist Hangzhou Bay, Ningbo. 

Mercedes entwirft, Geely entwickelt, Geely produziert

Die neuen Smart-Modelle werden „vom weltweiten Mercedes-Benz Design-Netzwerk entworfen und durch das globale Engineering-Netzwerk von Geely entwickelt.“ Außerdem: „Der zukünftige Produktionsstandort wird in China sein.“ Schließlich: „Das Joint Venture wird im Rahmen der Fahrzeugentwicklung das Smart-Produktportfolio in das wachstumsstarke B-Segment erweitern“ und zwar „mit Fokus auf rein elektrische und vernetzte Fahrzeugen der Premiumklasse“.

Konsequente Vernetzung ist auch der Schlüssel zur neuen Führung der Marke: Der paritätisch besetzte Aufsichtsrat des neuen Smart Joint Ventures setzt sich aus sechs Führungskräften beider Vertragspartner zusammen, der neue Smart-Chef heißt Tong Xiangbei.

Also alles im Lack bei Smart? Selbstverständlich, sagt Geely-Chef Li Shufu: „Wir werden gemeinsam mit Mercedes-Benz den Wandel von Smart zu einem führenden und global ausgerichteten Anbieter von urbanen und vernetzten Elektrofahrzeugen der Premiumklasse vorantreiben, um das Potenzial von Smart global erfolgreich weiter auszubauen.“

Li ist jedenfalls kein Träumer. Seine Geely Holding hat in wenigen Jahren schon ein gutes Stück Weg zurückgelegt. 2018 konnte man mit rund 120.000 Mitarbeitern 2,15 Millionen Fahrzeuge absetzen, das Unternehmen wird seit sieben Jahren im Fortune-500-Ranking gelistet. 

Volvo, Polestar, Lotus, die London Taxis plus 10 Prozent Daimler

Und der Chef der Geely-Holding ist nicht nur Unternehmer, sondern auch Investor: Knapp 10 Prozent der Daimler-Anteilscheine befinden sich in seinem Depot. Hinzu kommen die Marken Geely, Volvo, Polestar, Lotus, die London Taxis, Lotus – die Geely Holding arbeitet auf dem Fundament des gigantischen Binnenmarkts China an ihrer globalen Entwicklung.

 

20 Jahre Smart im Zeitraffer

1994: Joint Venture mit Swatch

Nicolas G. Hayek, der Erfinder der Swatch Uhr, will ein kleines Stadtauto auf den Markt bringen. Für die schnelle und erfolgreiche Umsetzung geht Hayek auf die Suche nach einem erfahrenen Partner. In der Kombination aus hundertjähriger Erfahrung im Automobilbau bei Mercedes-Benz und der kreativen Kraft von Swatch scheinen sich zwei ideale Partner für ein Projekt gefunden zu haben. Die Zusammenarbeit führt zu einem einzigartigen Fahrzeugkonzept und zu einer neuen Automobilmarke: Smart.

Aus den ersten Verhandlungen zwischen Mercedes-Benz und Nicolas Hayek entsteht nach kurzer Zeit die Micro Compact Car AG mit Sitz im schweizerischen Biel. Auf der Suche nach einem Produktionsstandort stehen über 70 Standorte weltweit zur Wahl. 1994 erhält der Standort Hambach in Frankreich den Zuschlag.

1997: Weltpremiere auf der IAA in Frankfurt

Nach dem Start der Entwicklung 1994 feiert das Smart City Coupé (später in Smart fortwo umbenannt) 1997 seine Weltpremiere auf der Internationalen Automobilausstellung in Frankfurt (IAA). Die Produktion beginnt im Juli 1998 in dem neuen Werk im französischen Hambach. Der Verkauf startet im folgenden Oktober in neun europäischen Ländern (Belgien, Deutschland, Frankreich, Italien, Luxemburg, Niederlande, Österreich, Schweiz und Spanien). Smart wird eine 100‑prozentige Tochtergesellschaft der Daimler-Benz AG (heute Daimler AG).

1998: Markteinführung

Am 2. Juli 1998 läuft der erste Smart fortwo vom Fließband in Hambach. Am 3. Oktober 1998 startet die Markteinführung.

1999: Smart Diesel

Smart präsentiert auf der IAA Ende 1999 den cdi-Diesel mit einem Verbrauch von 3,4 Litern auf 100 Kilometer. Bis zur Einführung des neuen Modells 2007 werden über 140.000 Smart cdi verkauft.

 

2007: Generation 2

Eine bessere Fahrwerksabstimmung, der längere Radstand sowie die etwas größere Karosserie geben der zweiten Smart-Generation einen Hauch von Verbindlichkeit mit auf den Weg. Zur Markteinführung im April 2007 geht der Smart fortwo zudem mit neu entwickelten und leistungsstärkeren Benzinmotoren an den Start: Der Dreizylinder mit einem Liter Hubraum leistet wahlweise 45 kW/61 PS, 52 kW/71 PS oder 62 kW/84 PS. Die Leistung der Dieselvariante liegt bei 33 kW/45 PS.

2008/2009: USA und China

Im Januar 2008 startet der smart auch in den USA, 2009 in China. Das Reich der Mitte entwickelt sich schnell zu einem der größten Märkte für die Marke.

 

2012: Smart fortwo electric drive

Seit Frühjahr 2012 fährt der Elektro-Smart mit einer Batterie der Deutschen Accumotive. 

2014: Generation 3

Nicht alle Fans begrüßen die dritte Smart-Generation im Frühjahr 2014. Der Zweisitzer wächst in der Breite um zehn Zentimeter, das erschwert das in den meisten Städten tolerierte Querparken.

Das markentypische Heckmotorkonzept wird jetzt auch im viersitzigen Smart forfour angeboten, der in Kooperation mit Renault entsteht. Der Charme des Viersitzers erschließt sich allerdings nur Kaufleuten, denen Skaleneffekte im Produktionsprozess wichtiger sind als Originalität. Mit einer Länge von 3,50 Meter ist der forfour genau genommen ein ganz gewöhnlicher Kleinwagen.

Für den Antrieb der dritten Generation wandern Dreizylinder-Motoren mit 45 kW/60 PS, 52 kW/71 PS und 66 kW/90 PS ins Heck, das vormals obligatorische Automatikgetriebe weicht einem Fünfgang-Schaltgetriebe.

Im Heck des Smart electric drive arbeitet ein 60 kW/81 PS starker Elektromotor mit 1-Stufen-Automatik.

2020: vollelektrisch, neue Heimat China

Daimler setzt die Smart-Modelle fortwo und forfour mit Beginn des Modellljahrgangs 2020 komplett und ausschließlich unter Strom – und bringt die Marke in ein Joint Venture mit der Geely Holding ein. Neue Heimat des Smart ist Ningbo am Ostchinesischen Meer.

Fotos: Daimler

 

 

Hugo von Bitz