Der antriebstechnische Umbruch auf dem Automobilmarkt ist für die klassischen Hersteller eine ernsthafte Bedrohung. Den großen Zulieferern hingegen eröffnen sich neue Perspektiven. Risiken? Die Chancen sind größer, sagt Mahle-Chef Arnd Franz.
Man kann mit den kleinen Dingen beginnen, die auf den zweiten Blick gar nicht so klein sind. Dem Mahle-Werkstattgerät mit dem sperrigen Namen E-HEALTH Charge zum Beispiel. Das ist ein Technikkoffer für die Batteriediagnose bei Elektroautos, der bei Bedarf auch laden kann. Es gibt ihn in zwei unterschiedlichen Größen (unser Aufmacherbild), und klar ist, dass der Apparat – oder ein Konkurrenzprodukt – sehr bald zur Standardausrüstung im Werkstatt- und Händlergeschäft zählen wird. Wer in Zukunft mit gebrauchten Elektroautos arbeiten und handeln will, muss dem Kunden nachvollziehbare Auskunft über den Zustand der Traktionsbatterie geben können.
Klassisches Neugeschäft also. Neu im Programm ist auch das kabellose Laden. Gemeinsam mit Siemens entwickelt Mahle ein Gesamtsystem aus Infrastruktur- und Fahrzeugtechnik. Das automatisiertes Positionierungssystem erkennt die Induktionsfläche im Boden und gibt dem Fahrer Unterstützung bei der Positionierung.
Technik- und Produktchancen, die einerseits konkret aus der Elektrifizierung des Automobils kommen. Und die andererseits nur Teilaspekte im Produktportfolio eines global agierenden Konzerns sind, der mit 72.000 Mitarbeitern an 152 Standorten in 30 Ländern zuletzt einen Jahresumsatz von 12,4 Milliarden Euro erwirtschaftet hat.
Umsatzpotential mit Faktor 3
„Mahle wird sich als System-Champion in der Elektromobilität positionieren“, sagt Firmenchef Arnd Franz (rechts). Und: „Die Elektrifizierung ist das Zukunftsthema für Mahle.“ Die Perspektiven sind jedenfalls überzeugend: „Batterieelektrische Fahrzeuge bieten für Mahle ein nahezu dreifach höheres Umsatzpotential als Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor.“
Das heißt nicht, dass der Zulieferer das alte Kerngeschäft aus den Augen verliert. Im Gegenteil. „Solange es Bedarf auf den globalen Märkten gibt“, will Mahle „zuverlässiger Lieferant“ für die Verbrennungsmotorenproduktion bleiben. Franz benennt in diesem Zusammenhang die Fundamente einer globalen Wirklichkeit, wie man sie in Europa zuweilen aus den Augen verliert. Stichwort Stichtag 2035.
Verbrenner: große Marktbedeutung auch nach 2035
Den großen Rest der Welt kümmert es nämlich nicht, wenn die EU den Verbrenner aus dem Rennen nimmt. China zum Beispiel plant ein generelles Verbrennerverbot für das Jahr 2060.
Der Mahle-Chef zitiert vor diesem Hintergrund zwei Marktprognosen:
- Die 100 Millionen Neufahrzeuge, die der globale Personenwagenmarkt 2035 produzieren wird, werden zu rund 50 Prozent mit Verbrennungsmotor ausgeliefert; davon 40 Prozent in Nordamerika, 45 Prozent in China und 80 Prozent im Rest der Welt;
- noch eindeutiger der globale Antriebsmix 2035 bei den Nutzfahrzeugen (aktuelle Jahresproduktion derzeit rund 15 Millionen Einheiten): 70 Prozent Diesel, 30 Prozent Batterie- und Brennstoffzellenelektriker.
Soll heißen: „Wir müssen den Verbrenner nachhaltig machen.“ Konkret: Der Konzern trete mit seiner in vielen Jahrzehnten gewachsenen Verbrennungsmotorexpertise an, „um den Weg für nachhaltige Kraftstoffe motorseitig frei zu machen“. Franz nennt neben dem Neoklassiker Wasserstoff die Alternativkraftstoffe E-Fuels, Bio-Sprit und Ethanol und verweist auf das Beispiel Brasilien, wo 50 Prozent der Fahrzeugflotte mit Ethanol unterwegs seien, für dessen nachhaltige Produktion 0,5 Prozent der Landesfläche genügten.
Elektrifizierung, grüne Verbrenner
Mahle will die globalen Märkte technologieoffen bedienen, die Risiken der Transformation mutieren zu Chancen. Zwei technologische Großbaustellen sind die Kernbereiche der strategischen Geschäftsentwicklung: Elektrifizierung und Thermomanagement sowie grüne Verbrenner.
Perfekter Motor
In den Mittelpunkt seiner Elektrifizierungsoffensive stellt das Unternehmen einen neuen Technologiebaukasten für E-Motoren, der die SCT- und die MCT-E-Technik kombiniert. SCT steht für Superior Continuous Torque, MCT für Magnet-free Contactless Transmitter. Mahle adelt die Kombination als „perfekten Motor“ mit überragenden Eigenschaften: dauerhaft hohe Spitzenleistung, kontaktlose und damit verschleißfreie Kraftübertragung, Verzicht auf Seltene Erden, höchste Effizienz. Die verschleißfreie Kraftübertragung soll im Nutzfahrzeug 30.000 wartungsfreie Betriebsstunden garantieren. „Mit diesem einzigartigen Baukasten für E-Motoren können wir unseren Kunden maßgeschneiderte Lösungen anbieten“, sagt Franz.
Weiterer Schwerpunkt im Mahle-Elektrobaukasten ist das neue Thermomanagement-Modul, das wesentliche Komponenten des Thermomanagements in einem Bauteil zusammenführt, zum Beispiel Wärmetauscher, Kühlmittelpumpen, Kondensator, Chiller, Sensorik und Ventile. Die Kombination reduziert Bauraum und senkt Entwicklungsaufwand und Kosten. Zugleich wird das Gesamtsystem deutlich effizienter: Das Mahle-Modul soll im Systemverbund mit Wärmepumpe gegenüber einer reinen E-Heizer-Architektur bis zu 20 Prozent mehr Reichweite bringen. Und: Die höhere Kühlperformance verbessert die Schnellladefähigkeit.
Fotos: Mahle