Stadler, Winterkorn, Hatz und Co: Im Zweifel für die Angeklagten

Alles was Recht ist. Die Geschichte der bundesdeutschen Umweltgesetzgebung und der Diesel-Skandal. Serie, Teil 3.

Im September 2015 gab Volkswagen nach Ermittlungen der amerikanischen Umweltbehörde zu, bei elf Millionen Dieselfahrzeugen das Motorsteuergerät so programmiert zu haben, dass es eine Prüfsituation auf dem Rollenprüfstand erkennt und auf ein anderes Kennfeld umschaltet. Die Fahrzeuge mit der verbotenen Abschalteinrichtung überschritten die erlaubten Grenzwerte um das 35-fache! Bei Audi, Porsche und anderen, auch ausländischen Herstellern, war die Situation ähnlich. Daraufhin änderte die EU 2016 das Regelwerk: Prüfungen im praktischen Fahrbetrieb werden vorgeschrieben, Überschreitungen der Grenzwerte drastisch abgesenkt.

Wie ist nun das Verhalten der Industrie zu bewerten, wer hat gegen welches Gesetz verstoßen, was können Betroffene tun?

Kunden und Aktionäre

Da ist zunächst die Frage: Was kann der Käufer tun, der ein Fahrzeug erworben hat, das der Rechtslage nicht entspricht? Der Frage versucht die Politik mit dem sogenannten Diesel-Kompromiss zu begegnen. Schadensersatzprozesse sind bei fast allen deutschen Landgerichten anhängig.

Parallel zu dieser Problematik hat ein großer Prozess begonnen, der VW vorwirft, man habe durch das Verhalten bei den Aktionären Schaden angerichtet, weil wegen der betrügerischen Softwarei der Aktienkurs eingebrochen sei. Hier steht die Frage im Raum, ob die Klage nicht verspätet eingereicht wurde. (Das Landgericht Stuttgart hat inzwischen in erster Instanz Aktien-Kurs-Geschädigten eine Entschädigung zugesprochen.)

Konzern und Manager

Und dann sollen die betroffenen Konzerne wegen der Rechtsverstöße strafrechtlich belangt werden. Die Staatsanwaltschaft hat Strafbefehle gehen VW und Audi beantragt, die von den Gerichten erlassen wurden. Da die Unternehmen keine Einwendungen erhoben haben, wurden die Strafbefehle gegen VW über eine Milliarde Euro und Audi über 800 Millionen Euro wirksam. Nutznießer sind die Bundesländer, in denen die Unternehmen ihre Firmensitze haben – Niedersachsen und Bayern freuen sich über unverhoffte Sondereinnahmen. Der geprellte Diesel-Kunde hat nichts davon.

Und schließlich geht es um die strafrechtliche Verantwortung der handelnden Vorstände und Mitarbeiter der Unternehmen. Hier kommen  vor allem die Vorschriften des Betruges nach Paragraph 263 Strafgesetzbuch (StGB), die Paragraphen 119, 120 Wertpapierhandelsgesetz (Marktmanipulation) sowie ordnungswidriges und strafbares Verhalten nach Umweltgesetzen in Betracht.

Nach 263 StGB wird wegen Betruges mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft, „wer in der Absicht, sich oder einem Dritten einen rechtswidrigen Vermögensvorteil zu verschaffen, das Vermögen eines anderen dadurch beschädigt, das  er durch Vorspiegelung falscher oder durch Unterdrückung wahrer Tatsachen einen Irrtum erregt oder unterhält.“ Der Strafrahmen kann durch Urteil auf bis zu zehn Jahre erweitert werden, wenn der Täter in der Absicht handelt, durch fortgesetztes Handeln eine große Zahl von Menschen in die Gefahr eines Verlustes von Vermögenswerten zu bringen.

Voraussetzung für Betrug sind also Täuschungsabsicht zum Zweck der Erregung eines Irrtums, Bereicherungsabsicht, Schädigung des Vermögens des Getäuschten, vorsätzliches Vorgehen und Ursächlichkeit der Täuschung für den Kauf. Die Staatsanwaltschaften prüfen seit 2015.

Ermittlungen in 39 Fällen

In Braunschweig laufen Ermittlungen gegen 39 Personen wegen der Manipulation von Stickoxidwerten in Dieselabgasen. Der Verdacht richtet sich gegen den neuen und alte VW-Chefs und den Aufsichtsratsvorsitzenden. Untersuchungen betreffen auch den Fall einer Marktmanipulation (§20a Wertpapierhandelsgesetz).

Gegen den Ex-VW-Chef Martin Winterkorn ist in den USA ein Haftbefehl ergangen. Verschieden Zeugen sollen ausgesagt haben, dass Winterkorn seit September 2015 „Bescheid wusste“. Das könnte auch deshalb teuer für ihn werden, weil nach deutschem Recht Manager schon dann haften, wenn sie mit die Kontrollmechanismen nicht sauber handhaben. Ex-Audi-Chef Rupert Stadler saß bis vergangene Woche in U-Haft. In Stuttgart wird gegen drei Beschuldigte ermittelt, unter anderem gegen den früheren Porsche-Entwicklungsvorstand Wolfgang Hatz. Bosch-Mitarbeiter sollen Beihilfe geleistet haben. In den USA sind bereits zwei Beschuldigte zu erheblichen Strafen verurteilt worden, wie Medien berichteten.

Nun weiß jeder Autokäufer, dass die angegebenen Werte beim Kraftstoffverbrauch nur ungefähr gelten. Verbraucher machen sich in der Regel vermutlich auch kaum Gedanken darüber, ob gleiches für den entsprechenden Ausstoß der Schadstoffe gilt. Allerdings unterstellt der Erwerber eines Neuwagens sicher, dass sein neues Auto den gesetzlichen Vorgaben entspricht – bei mit Schummel-Software ausgerüsteten Autos war das ganz sicher nicht der Fall. Darüber hat der Händler, wenn er es denn wusste, nicht informiert. Darüber hat aber auch der Hersteller nicht informiert.

Beim Kunden ist sicher auch ein gewisser Schaden entstanden, wenn ihm verwehrt ist, in Deutschland alle öffentlichen Straßen mit seinem Fahrzeug zu befahren. Da er für sein Geld nicht das Verlangte (ein zulassungsfähiges Auto nämlich) erhalten hat, könnte wohl auch ein Vermögensschaden vorliegen. 

Wer wusste wann was?

Fraglich bleibt aber vor allem: Wer wusste wann was? Wusste der Vorstand, was die Entwickler wussten? Kannte er die Unrichtigkeit der Angaben (über die Abschaltvorrichtung und damit die fehlende Gesetzeskonformität der PKW), die gegenüber dem Kunden und dem Händler gemacht wurden? Und wenn ja, seit wann?

Die Öffentlichkeit hat ihr Urteil über Winterkorn, Hatz, Stadler und Co. gefällt: schuldig!

Nach unserem Rechtssystem bleibt es aber den Richtern vorbehalten, die Anklagen der Staatsanwaltschaften zu prüfen und nach der Hauptverhandlung zu entscheiden, ob nach ihrer Überzeugung der jeweilige Angeklagte ein Betrüger und damit schuldig ist oder nicht.

Und bis dahin gilt nach deutschem Recht die Unschuldsvermutung!

Teil 1: Berlin, Bonn, Brüssel und noch einmal Berlin.

Teil 2: Das Labor und das richtige Leben.

Der Autor: Dietrich Austermann ist Jurist und CDU-Politiker. Von 1982 bis 2005 war er Mitglied im Deutschen Bundestag, von 2005 bis 2008 gehörte er der Landesregierung Schleswig-Holstein als Minister für Wissenschaft, Wirtschaft und Verkehr an.

Foto: motorfuture

Dietrich Austermann