Impressionen von der IAA 2017. Teil 2.
Elektromobilität ist der Schlüssel in eine verheißungsvolle Zukunft, wissen die Industrieexperten der Politik. Die von den Grünen zum Beispiel. Sozialpädagogik (Cem Özdemir) oder Gar-keine-Qualifikation (Katrin Göring-Eckardt) ist ihr Fach, da können sich die Forschungs- und Entwicklungsfuzzis der Automobilbranche mal eine Spezialistenscheibe abschneiden. Gut, dass der Strom aus der Steckdose kommt. Nicht so wichtig ist, wie er hinein kommt. Hauptsache alternativ. Und wenn die Sonne nicht scheint und der Wind nicht weht, hilft Rest-Europa mit Atomstrom aus baufälligen Kernkraftwerken.
Selten ist das Tal politischer Ahnungslosigkeit so tief wie bei den wirtschaftspolitischen Kernthemen Energie, Infrastruktur und Mobilität. Oslo, dem Mekka der Elektrojünger, geht langsam der Saft aus. Sauberen Strom gibt es genug in Norwegen, dem Land der Berge, der Stauseen und der Wasserkraftwerke. Aber die Steckdosen fehlen. Die Stadt kommt mit dem Ausbau der öffentlichen Ladestationen nicht hinterher. Für 50.000 E- und 30.000 Hybridautos im Großraum Oslo gibt es momentan gerade mal 1300 frei zugängliche Stromtankstellen. Das ist zu wenig, viel zu wenig, denn der Ladestrom kriecht zäh und langsam. Die norwegische Elektroautovereinigung, berichtet die Deutsche Presseagentur (dpa), rät Autofahrern ohne private Garage und Steckdose deshalb momentan vom E-Auto ab. Dass ist krass. Nur die Anzahl der Ladestationen zu vergrößern, sei jedenfalls nicht die alleinseligmachende Lösung, zitiert dpa Sture Portvik von der Osloer Stadtverwaltung: „Wir müssen dafür sorgen, dass das System effektiver wird.“ Und: „Wir brauchen smartere, schnellere Lader und Mobilitätshäuser, wo man nicht nur sein Auto laden kann, sondern auch sein E-Fahrrad, E-Motorrad, E-Scooter und so weiter.“
Von Oslo deshalb zurück nach Frankfurt am Main, wo das Elektroauto die Internationale Automobilausstellung (IAA) dominiert. Theoretisch jedenfalls. Praktisch nützt nämlich das beste E-Auto nichts, wenn es – siehe Oslo – an Steckdosen mangelt. Das weiß man auch beim IAA-Veranstalter, dem Verband der Automobilindustrie (VDA). „Ohne eine funktionierende Infrastruktur“, sagt VDA-Präsident Matthias Wissmann. „wird die Elektromobilität den Durchbruch in den Massenmarkt nicht schaffen können.“ Wissmanns plakativer Vergleichsmaßstab ist „die Anzahl der Ladepunkte pro 1000 Einwohner“. Die deutschen Werte – Frankfurt 0,1, Berlin und Hamburg 0,2 – sind im internationalen Vergleich eine Ohrfeige für den Automobilstandort Deutschland. Oslo und Amsterdam melden „deutlich über zwei, in San Francisco sind es knapp vier Ladepunkte je 1000 Einwohner“ (Wissmann). Und auch das ist, siehe Oslo oben, noch deutlich zu wenig. Bleibt die Frage, wer es verbockt hat? Die Politik, die Industrie oder der Industrieverband VDA? Der Präsident weiß jedenfalls: „Wir haben noch jede Menge Arbeit vor uns.“
Wir wissen: Das haben die Experten dem VDA, der Stromwirtschaft, der öffentlichen Hand und der Politik schon vor fünf Jahren gesagt.
Die Politik spielt derweil ihre ahnungslose Ersatzdiskussion. Und führt den Namen Tesla im Mund, als sei der kalifornische Kleinhersteller – 76.000 Einheiten Jahresproduktion in 2016 – der Erfinder des Automobils, des Fließbandes und der elektrischen Spannung in Personalunion. Fakt ist: Tesla verspricht viel und hält wenig. Die Autos sind sündhaft teure Luxusmodelle, die versprochenen Reichweiten taugen nur für die extremen kalifornischen Speedlimits, die Unternehmensverluste sind gigantisch und die pompösen Produktionsprognosen waren bislang ausnahmslos schillernde Luftballons, die mit Getöse starteten und dann leise platzten. Als Kronzeuge für die Markttauglichkeit individueller Elektromobilität ist Tesla deshalb so geeignet wie ein Schnapsfabrikant als Ortsvereinsvorsitzender bei den Guttemplern.
Gute Elektroautos bauen und damit gigantische Verluste anhäufen kann nämlich auch die Konkurrenz. Renault-Nissan mit seiner gewagten E-Auto-Strategie, Daimler mit der Brennstoffzelle oder BMW mit dem i-Projekt haben mit Quersubventionierungen bislang viele in die Zukunft gerichteten Milliarden vernichtet. Selbstverständlich stammt das verbrannte Geld aus dem traditionellen Verbrenner-Geschäft – die Politik scheint irgendwie nicht zu kapieren, dass es an der Kasse ganz schnell kalt wird, wenn in der heißen Küche an den Wünschen der Gäste vorbeigebrutzelt wird. Im Klartext: Der Verbraucher will an allererster Stelle sichere und bezahlbare Reichweite, und die liefert bislang nur der Verbrenner.
Bei der IAA pfeifen die Etablierten dennoch ein tapferes Liedchen im dunklen Wald des Marktes. VDA-Wissmann verspricht bis 2020 also 100 deutsche E-Modelle, die „Roadmap E“ des VW-Konzerns will in den kommenden sieben Jahren 80 E-Autos in den Markt schieben, und BMW feilt an seiner Elektrostrategie „i“. In Frankfurt steht mit einer überarbeiteten Version des kompakten i3 (mehr Leistung, bessere Reichweite, modifiziertes Design) ein Elektroauto der Extraklasse. Auf Wunsch mit Range-Extender-Zweizylinder-Verbrenner, der sicheres Ankommen garantiert, solange Steckdosen fürs E-Auto im Autoland Deutschland nur seltene Inseln im Strom sind. Wer will kann den i3, der kein Tesla, sondern ein BMW ist, beim nächsten Händler bestellen. Seit gut drei Jahren schon.
Übrigens: Tesla glänzt bei der IAA zwar durch Abwesenheit, ist aber dennoch in aller Munde. Die anderen bezahlen die Kapelle und Elon Musk macht die Musik. Ein Marketinggenie ist er schon, der Tesla-Gründer.