Sechs Wochen nach dem Leipziger Diesel-Urteil ist nur klar, dass nichts klar ist. Der Diesel-Markt bricht ein, die Deutsche Umwelthilfe (DUH) klagt weiter, und Diesel-Besitzer sind ratlos. Die Rechtslage ist komplex. Ein Überblick.
Das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) in Leipzig hat Ende Februar klar gestellt, dass die Städte Düsseldorf und Stuttgart (denn sie waren konkret beklagt) Fahrverbote in bestimmten Gebieten für Diesel bis zur Euro-4-Abgasnorm verhängen dürfen. Fahrverbote seien als letztes Mittel zulässig, um die EU-Grenzwerte für gesundheitsschädliches Stickoxid einzuhalten. Um die „Verhältnismäßigkeit zu wahren“ dürfen laut BVerwG Euro-5-Fahrzeuge nicht vor dem 1. September 2019 mit Verkehrsverboten belegt werden.
Bis das Leipziger Urteil also wirklich praktische Konsequenzen hat, wird noch viel Wasser den Rhein und den Neckar hinunterfließen. Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) macht unterdessen unverdrossen weiter und „ reicht elf weitere Klagen zur Durchsetzung der ,Sauberen Luft´ in den deutschen Städten mit besonders hoch belasteter Atemluft ein“, wie es in einer Pressemitteilung des Vereins heißt. Darunter Großstädte wie Dortmund und Bochum im Ruhrgebiet, aber auch Kleinstädte wie Marbach und Backnang in der baden-württembergischen Provinz.
Die DUH klagt und klagt und klagt…
Da zunächst die Luftreinhaltepläne unter Beteiligung der Öffentlichkeit fortgeschrieben werden müssen, werden auch für ältere Diesel in diesem Jahr keine Fahrverbote in Kraft treten. Andererseits werden sich neben den beklagten zwei Städten andere Kommunen mit den Konsequenzen des Leipziger Urteils befassen müssen. Maximal kommen momentan Einschränkungen in 37 Gemeinden mit Luftreinhaltezonen in Frage, sofern nicht anderweitige Maßnahmen die Einhaltung des Stickoxid-Grenzwertes gewährleisten.
Für viele Diesel-Fahrer erscheint das Urteil hart und zum Teil auch nicht nachvollziehbar, da der Diesel im Vergleich zum Benziner weniger Kraftstoff verbraucht und damit auch weniger CO2 ausstößt, die Stickoxid-Werte in Deutschland sinken, die Messwerte oft nicht stimmen, andere Länder höhere Messwerte akzeptieren und die Diesel-PKW nicht die einzigen Emittenten von Stickoxid sind. Sie fühlen sich enteignet.
Enteignung von Diesel-Besitzern?
Zum Stichwort Enteignung hat der Vorsitzende Richter des BVerwG-Senates ausgeführt, dass die ergriffenen Maßnahmen nicht mit einem Schlag wirkten. Dadurch würden Härten vermieden und deshalb würden Fahrverbote nicht an der Entschädigungsregelung scheitern. „Wer einen Diesel besitzt, hat keinen Anspruch, zeitlich und räumlich alle öffentlichen Straßen zu befahren… Ein daraus entstehender Wertverlust des betroffenen Fahrzeuges führt nicht zu einer finanziellen Ausgleichspflicht“, so der Vorsitzende. Gewisse Verluste seien hinnehmbar und nicht durch die im Grundgesetz verbrieften Eigentumsrechte geschützt. Schließlich beträfen mögliche Fahrverbote nur einen Bruchteil des Straßennetzes. Das Gericht betont aber gleichzeitig den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, drängt auf Übergangsfristen und Ausnahmeregelungen.
Verhältnismäßigkeit bedeutet, dass der Staat nicht härter durchgreifen darf als erforderlich (Übermaßverbot). Die eingeleiteten Einschränkungen müssen legal, geeignet, erforderlich und angemessen sein. Für den Immissionsschutz ist dies ausdrücklich im Gesetz geregelt. Luftreinhaltepläne mit Fahrverboten, vergleichbar mit den zu Recht kritisierten Umweltzonenregelungen mit ihren zahlreichen Ausnahmen, müssen sich an diesen Maßstäben messen lassen. Betrachtet man die mündliche Begründung des BVerwG-Urteils (das schriftliche Urteil liegt noch nicht vor), ist klar, wie Klagen gegen Fahrverbote letztinstanzlich vor dem BVerwG entschieden werden dürften. Wehrt sich ein ertappter „Diesel-Sünder“ gegen einen Bußgeldbescheid, muss sich in letzter Instanz der BGH mit der Frage der Enteignung befassen. Die bisherigen Entscheidungen zu Umweltzonen geben da wenig Anlass zur Hoffnung.
Anders ist bei Autobesitzern zu entscheiden, die in gutem Glauben bei ihrem Händler einen Euro-5-Diesel gekauft haben. Mehr als 1000 Klagen wurden inzwischen gegen Autohändler mit der Begründung eingereicht, sie seien getäuscht worden oder hätten etwas Vertragswidriges erhalten. Die meisten Klagen wurden abgewiesen, weil der Kunde dem Verkäufer nicht die im Gesetz vorgeschriebene Chance zur Nachbesserung (Software-Anpassung) gegeben hat.
Das Landgericht Hamburg hat in einem sehr konsequenten Urteil gegen einen Händler entschieden, dass der Kunde nicht nur einen Anspruch auf ein neues Fahrzeug gleichen Typs, sondern unter Umständen sogar Anspruch auf ein Upgrade hat. Der Euro-5-Tiguan darf demnach gegen ein Euro-6-Modell getauscht werden (das Urteil ist noch nicht rechtskräftig, gegebenenfalls holt sich der Händler das Geld vom Konzern zurück).
Erfolgreicher sind die Klagen gegen den Hersteller. Hier entschieden die zuständigen Landgerichte bisher überwiegend zugunsten des Käufers. Entweder wurde den Klägern wegen sittenwidriger Schädigung (betrügerische Software) das Recht zur Rückgabe des Autos gegen Erstattung des Kaufpreises zugestanden (nach Abzug einer Nutzungsentschädigung) oder es wurden als Ausgleich für den Minderwert eines im Markt weniger akzeptierten Autos Gutschriften in Höhe von zehn Prozent des Kaufpreises zugebilligt.
Vor dem Landgericht Braunschweig wurde jetzt eine Sammelklage von 15.000 Käufern gegen den VW-Konzern durch eine amerikanische Anwaltskanzlei eingereicht, die sich die Ansprüche der Kunden auf Schadensersatz hat abtreten lassen. Die Klagen dürften keinen Erfolg haben, da einerseits Sammelklagen nach amerikanischem Muster in Deutschland nicht zulässig sind, andererseits das für Wolfsburg zuständige Landgericht Braunschweig die Meinung vertritt, Abgasnormen seien keine Schutznorm für Autokäufer, die Typengenehmigung habe weiter Bestand und die Nutzung des Autos sei weiter möglich. Das passt in gewisser Weise zu einem Urteil des Landgerichts Stendal, das den VW-Konzern zu 17.000 Euro Schadensersatz an die Käuferin eines Skoda verpflichtet hat. Die Klägerin hatte vorgebracht, dass das Fahrzeug nach der Software-Anpassung mehr Kraftstoff verbrauche, und bei eingeschränkter Leistung zudem lauter sei, das Fahrzeug auf dem Markt also einen Minderwert habe. Die Käuferin des PKW musste sich lediglich einen Nutzungsausgleich von 5.000 Euro für das 60.000 Kilometer gefahrene Fahrzeug anrechnen lassen. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.
Wer zu spät klagt, guckt in die Röhre
Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben. Wer zu spät klagt, guckt in die Röhre. Schadensersatz-Ansprüche wegen arglistiger Täuschung (Schummel-Software) gegen die Händler dürften kaum noch möglich sein, Klagen gegen die Konzerne dürften Ende 2018 verjähren. Denn nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) verjähren diese innerhalb von drei Jahren ab dem Ende des Jahres, in welchem der Kunde Kenntnis vom Betrug erlangt hat (Berichterstattung in der Presse).
Also: Alte Diesel dürfen, außer in den Fahrverbotszonen, bis ans Lebensende fahren. Euro-5-Diesel, die nachgerüstet sind, unterliegen keinen Einschränkungen. Euro-6-Diesel sowieso nicht.
Besitzer von Schummel-Dieseln dürften mit Klagen Erfolg haben, je nach Lage der Dinge, auf Schadensersatz, Rückgabe des Fahrzeugs oder Ausgleichs des merkantilen Minderwertes.
Der Ausschluss älterer Diesel aus Umweltzonen muss im Rahmen der Sozialpflichtigkeit des Eigentums aber hingenommen werden. Es sei denn, es gelingt der großen Koalition mit dem angestrebten Bündel von Maßnahmen rasch, auch dort die Einhaltung der Grenzwerte (und den Verzicht auf die Blaue Plakette) zu erreichen.
Der Autor: Dietrich Austermann ist Jurist und CDU-Politiker. Von 1982 bis 2005 war er Mitglied im Deutschen Bundestag, von 2005 bis 2008 gehörte er der Landesregierung Schleswig-Holstein als Minister für Wissenschaft, Wirtschaft und Verkehr an.