Die Zukunft der Stadt (6): Handlungsfelder

Autonomes Fahren, Verkehrswende, neue Mobilität: Das Forschungsprojekt AVENUE21 (TU Wien) skizziert konkrete Szenarien für die Zukunft der Stadt. Wir fassen die Wiener Ergebnisse in einer kleinen Serie zusammen. Folge 6: Handlungsfelder. Gestaltung der Verkehrswende mit automatisierten und vernetzten Fahrzeugen.

In einem Interview mit dem Magazin der renommierten Fraunhofer-Gesellschaft für angewandte Forschung zeigt sich der Ex-Rennfahrer Nico Rosberg überzeugt davon, dass Lufttaxis in wenigen Jahren unser ganzes Leben in den Städten verändern werden. Man könne leichter pendeln, die Straßen würden entlastet, die Mobilität gesteigert und die Städte lebenswerter.

Interessant daran ist, dass die Wiener Forscher unter der Überschrift AVENUE21 zu gleichen Ergebnissen für den autonomen PKW-Verkehr kommen. Sie haben die Gestaltung der Verkehrswende mit automatisierten und vernetzten Fahrzeugen (avF) im Kontext des langen Level 4 bewertet. Hier steuert das Fahrzeug autonom, auf Anforderung soll der Fahrer in das System eingreifen. Die Schlussfolgerung der Forscher: Fahrzeug- und umfeldbezogene Technologien, die Voraussetzungen für das Betreiben eines automatisierten und vernetzten Straßenverkehrs sind, werden langsamer als ursprünglich angenommen schrittweise weiterentwickelt werden.

Das scheint auch ratsam zu sein, denn vor wenigen Wochen erst ist ein autonom fahrender Tesla gegen einen Baum gerast. Dabei waren zwei Tote zu beklagen. Inzwischen wurde bekannt, dass die US-Verkehrsbehörde NHTSA (National Highway Traffic Safety Administration) knapp zwei Dutzend Verkehrsunfälle mit autonomen Tesla-Fahrzeugen untersucht.

Dynamik und Akzeptanz: keine Erfahrungswerte

Die Wiener Forscher bestätigen, dass es bis heute bezüglich der Dynamik der technologischen Entwicklung, der künftige Akzeptanz der Bürger, der Fortschritte der Marktdurchdringung und der Umsetzung in vielfältig genutzten Straßenräumen keine Erfahrungswerte gebe. Ihre Untersuchungen machten deutlich, dass sich ein Teil der „Verheißungen erst spät und unter bestimmten Bedingungen erfüllen“ ließe. Sie fordern gleichwohl schon heute die politisch-planerischen Weichenstellungen zur „notwendigen Mobilitäts- und Verkehrswende“.

Wo es konkret werden müsste, verweisen sie auf die Aufforderung der EU-Kommission von 2013, Städte und Regionen mögen nachhaltige Mobilitätsplanungen (SUMPS) entwickeln und mit der EU bewerten. Daraus wurde 2019 auf EU-Ebene eine Strategie in zwölf Schritten und vier Phasen vorgestellt. Sie liest sich wie ein Katalog an Schritten einer Netzwerkplanung für jeden Zweck eines jedweden Projektes (Vorbereitung und Analyse, Strategieentwicklung, Planerische Maßnahmen, Implementation und Monitoring). Es beginnt mit der ‚Organisation der Arbeitsstruktur‘ und endet mit der ‚Überprüfung und dem Festhalten gelernter Dinge‘.

Konkrete Umsetzung? Allgemeinplätze

Daraus entnehmen die AVENUE21-Forscher nach eigener Darstellung ihre Schwerpunkte, die in der Analyse der Herausforderungen und Möglichkeiten aller Verkehrsmittel und der Entwicklung und gemeinsamen Bewertung von Szenarien liegen sollen. Sie erklären, konkret auf die Herausforderungen für eine politisch-planerische Steuerung während der Übergangsphase eines langen Level 4 einzugehen. Leider endet das Ganze dann wieder in Allgemeinplätzen: „den Einsatz von avF stadtverträglich gestalten“, „Autoverkehr verringern, Fußgänger- und Radverkehr steigern“, „Straßenräumliche Qualitäten durch Flächen(fair)teilung und Gestaltung verbessern“, „Ladestationen im Straßenraum platzieren“, „Partizipative Gestaltung des öffentlichen Raumes“.

Das ist alles richtig. Aber wie wird es konkret gemacht? Wer fängt an?

Fragen über Fragen. Und die Antworten?

Wo sind die Antworten auf die zum Schluss gestellte Fragen:

  • „Wie sollen die Straßen von morgen aussehen?“
  • „Welche Nutzung tritt an die Stelle von vielleicht künftig nicht mehr benötigten Stellplatzstreifen?“
  • „Sind es Fahrradwege, die auch von in den Markt drängenden elektrisch betriebenen Kleinfahrzeugen (Scooter, Lieferboxen etc.) genutzt werden?“
  • „Werden die Verbesserungen nicht gerade in den Quartieren stattfinden, die ohnehin in einem Aufwertungsprozess stehen und in denen die Gentrifizierung mit ihren negativen Folgen wirksam ist?“

Die Antworten werden allenfalls angedeutet und betreffen nur am Rande den automatisierten Verkehr. Viel daran lässt die Skepsis gegenüber dem Autofahren an sich erkennen.

Daran ändert auch die Beschreibung der drei Handlungsfelder („avV stadtverträglich gestalten“, „Öffentliche Räume zurückgewinnen“, „Errichtung spezifischer avV-Straßen-Infrastruktur abwägen und potentielle Nutzungskonflikte regeln“) nichts. Die AVENUE21-Autoren sagen wie die Frage lautet, aber wenig, wie sie beantwortet werden soll.

Die multimodale Erreichbarkeit soll verbessert werden, offensichtlich durch Zurückdrängung der Autos und Ausweitung des ÖPNV. Fußgänger und Fahrradverkehr erhielten dadurch mehr Platz. Freiwerdende Flächen (Wegfall von Parkplätzen) sollten für Quartiersentwicklung genutzt werden. Regionale Konzepte für Güterverkehr und Distribution sollten entwickelt werden. Wie das dann mit den zusätzlichen Platzanforderungen der Infrastruktur des avV, der ja Mobility Points, Parkflächen, Ladestationen, Sensoren und vieles andere braucht, in Einklang zu bringen ist, bleibt offen. Welche stadtplanerischen Vorentscheidungen getroffen werden sollen ebenso.

So schließt denn auch die Untersuchung mit einer eher hilflosen Feststellung. Die Analyse der Straßen- und öffentlichen Räume habe gezeigt, dass der Einsatz von avF in den urbanen Verkehrssituationen, in denen unterschiedliche Verkehrsteilnehmende aufeinandertreffen, besonders schwierig sei. Vielleicht liegt es einfach daran, dass auch die hässlichste Stadt einen lebendigen Körper hat, der nicht ohne weiteres einer vagen Zukunftsvision untergeordnet werden kann. Die technologische Entwicklung muss sich den Wünschen der Menschen anpassen. Die können aber offensichtlich nicht in Laboren und Workshops umgekrempelt werden.

 

Unser Aufmacherbild: Fahrrad-Parkplatz in Münster. Foto: Pixabay

 

Mehr zum Thema

Die Zukunft der Stadt, Folge 1: Das Projekt

Die Zukunft der Stadt, Folge 2: Straßen und Quartiere

Die Zukunft der Stadt, Folge 3: Die Ausgangssituation

Die Zukunft der Stadt, Folge 4: Automatisierter und vernetzter Verkehr im langen Level 4

Die Zukunft der Stadt, Folge 5: Szenarien: Lokale Gestaltbarkeit der Übergangszeit

 

Die Studie: „AVENUE21. Automatisierter und vernetzter Verkehr: Entwicklungen des urbanen Europa“ ist Ergebnis eines interdisziplinären Forschungsvorhabens an der Technischen Universität (TU) Wien, gefördert von der Daimler und Benz Stiftung. Anhand ausgewählter Städte und Ballungsgebiete wurde untersucht, welche Szenarien für Europa zu erwarten sind und welche Entwicklungen sich bereits heute weltweit abzeichnen.

 

Der Autor: Dietrich Austermann ist Jurist und CDU-Politiker. Von 1982 bis 2005 war er Mitglied im Deutschen Bundestag, von 2005 bis 2008 gehörte er der Landesregierung Schleswig-Holstein als Minister für Wissenschaft, Wirtschaft und Verkehr an.

 

Dietrich Austermann